Nacht aus Rauch und Nebel
schnaubte angesichts dieser neuen Babysitterregelung, enthielt mich jedoch eines weiteren Kommentars. Ich war viel zu fertig, um mich zu streiten.
Den Rest des Tages verbrachten mein Vater und Christabel im Internet, wo sie sich über die neueste Technik in Sachen Laser- und Alarmanlagenequipment informierten. Währenddessen sammelte ich die bis in den Keller verstreuten Socken aus dem Treppenhaus und versuchte anschließend, mein Zimmer wieder einigermaßen in Ordnung zu bringen. Es dauerte allein eine ganze Stunde, meine Kleidung zu falten und in den Kleiderschrank einzuräumen. Noch schlimmer wurde es beim Schreibtisch. Die ganze Zeit über blieb dieses schreckliche Gefühl, nackt zu sein. Ich konnte einfach nicht aufhören, daran zu denken. Ein Fremder, vielleicht sogar mehrere, war hier gewesen und hatte all diese Dinge angefasst. Meine Jeans, meine alten Bilderbücher aus der Kiste unter meinem Bett. Immer wieder griff ich nach meinem Schafkissen, als müsste ich es beschützen.
Wer hatte das getan? Und vor allem: warum? Ich vermutete auch weiterhin, dass der Kanzler seine Finger im Spiel haben könnte, vor allem nach unserer Begegnung in der letzten Nacht. Doch was hatten seine Schattenreiter hier drinnen gesucht?
Das Aufräumen war anstrengend und trieb mir schon bald den Schweiß auf die Stirn. Gegen Nachmittag wurde ich hungrig, doch ich legte keine Pause ein. Fieberhaft sortierte ich mein Leben zurück in Schubladen und Regalbretter, als könnte ich damit alles ungeschehen machen.
Erst als ich bei meinen CDs angelangt war, hielt ich inne, weil ich zwischen einer alten Folge von Benjamin Blümchen und einem Album von Shakira (hey, ich war damals dreizehn) etwas fand, was definitiv nicht mir gehörte. Es war ein Stofffetzen von der Größe meiner Hand. Schwarze Spitze, an den Rändern ausgefranst, brüchig und alt. Ich strich sie auf meinem Oberschenkel glatt und war einen Moment lang versucht, ins Wohnzimmer zu laufen und sie meinem Vater und Christabel zu zeigen. Immerhin gab es nun doch so etwas wie eine Spur. Dann beschloss ich jedoch, zunächst einmal fertig aufzuräumen, verstaute den Stofffetzen in einem Fach meines Nachttischchens, stopfte mir die Kopfhörer meines iPods in die Ohren und machte mich daran, meine Bücher aufzusammeln.
Doch auch nachdem ich alles wieder penibel an seinen Platz befördert, durchgesaugt und gewischt hatte, fühlte ich mich nicht besser. Christabel hatte inzwischen den Zahlencode der Alarmanlage geändert und mehrere Schlösser ausgetauscht, während mein Vater die Lichtschranke aus seinem Arbeitszimmer im Flur montierte. Wir waren eingeschlossen wie in einer Burg. Trotzdem schlug mein Herz mit der Frequenz von Kolibriflügeln. Wild und flatternd pochte es in meiner Brust, als ich mich am späten Abend in mein Bett legte. An Schlaf war überhaupt nicht zu denken.
Unruhig wälzte ich mich von einer Seite auf die andere und wagte es nicht einmal, die Nachttischlampe auszuschalten. Alles erschien mir bedrohlich. Jedes Knacken des Hauses, der Wind, der über mein Fenster strich, die Schritte der Nachbarn über uns und die Schatten. Vor allem die Schatten. War das nicht der Flügel eines Schattenreiters, der sich an der Wand abzeichnete? Hatte sich in der Ecke dort nicht etwas bewegt? Der Gedanke, die Eindringlinge könnten noch einmal zurückkehren, fraß sich in mein Hirn wie ein giftiger Käfer. Natürlich redete ich mir ein, dass es unlogisch war. Denn wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass an einem Tag zweimal in die gleiche Wohnung eingebrochen wurde? Andererseits: Die Fremden hatten augenscheinlich nach etwas gesucht. Was, wenn sie es nicht gefunden hatten und noch nicht aufgeben wollten? Bilder von maskierten Männern tauchten vor meinem inneren Auge auf, zusammen mit blutgetränkten Laken, weil sie mich als Zeugin natürlich beseitigen müssten. Oder waren es doch die Schattenreiter des Kanzlers gewesen? Würden sie heute Nacht zurückkommen und über mich herfallen?
Je mehr ich mich in meine Angst hineinsteigerte, umso stärker wuchs in mir der Eindruck, dass sich die Dunkelheit in den Winkeln meines Zimmers verdichtete. Fetzen von Finsternis, die an den Wänden hinaufkrochen und ihre Klauen nach mir ausstreckten. Verschwommene Umrisse, die sich zu Gestalten formten.
Ich hätte geschrien, doch die Furcht schnürte mir die Kehle zu. Denn plötzlich war dort tatsächlich jemand.
»Hey«, sagte Marians Schatten. Von einer Sekunde zur nächsten war er neben
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