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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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hatten, das aus dieser Perspektive ebenso gut den Rand eines Kraters hätte bilden können, denn zur anderen Seite hin fiel es keineswegs steil ab. Dort begann ja das Nichts. Dort war also auch nichts, in das man stürzen konnte. Nichts, auf dem man gehen konnte. Und genau auf dieses Nichts hielten wir zu.
    Mein Herzschlag setzte aus, als die Nase der Nebelkönigin in die nebligen Schwaden tauchte. Ich klebte förmlich an dem Bullauge neben meiner Koje. Unter dem Helm konnte ich Marians Gesicht nicht erkennen, doch seine Bewegungen wirkten auffallend fahrig, als er langsam um das Schiff herumschwebte und hier und dort an der Außenhaut kratzte, die hydraulischen Klappen oder die Versiegelung der einzelnen Nieten überprüfte. Lag es an seiner Angst vor dem Nichts? Ich erinnerte mich noch gut daran, wie er mich damals zum ersten Mal mit dorthin genommen hatte, in jenen Hinterhof, in dem plötzlich die Welt endete. Und an die Faszination in seinem Blick, als wir gemeinsam nur wenige Millimeter vor dem Abgrund gestanden hatten. Damals hatte er sich nicht gefürchtet. Im Gegenteil, ich hatte eher das Gefühl gehabt, dass er sich wünschte, einen Schritt vorzutreten. Doch nun war seine Körpersprache eine andere. Seine breiten Schultern zitterten. Der Großmeister lenkte uns in das Nichts hinein, bis nur noch ein Teil der Materientanks über die Berggipfel ragte. Dann schaltete er die Triebwerke aus. Ich hielt den Atem an, lauschte in die Stille hinein, wartete darauf, dass das Nichts durch Spalten und Ritzen zu uns hereinkam. Doch nichts dergleichen geschah. Zu hören war lediglich der röchelnde Atem von Desiderius, der in seiner Koje vor sich hindämmerte und überhaupt nicht mitzukriegen schien, was um ihn herum geschah. Fluvius Grindeaut seufzte hin und wieder leise, während er seine Instrumente checkte, und Amadé hatte sich schweigend in die hinterste Ecke des Raumes verkrümelt und wandte uns den Rücken zu. Aus dem Lagerraum drang Ylvas heiseres Heulen und das Geräusch ihrer Klauen, die auf die Wände der Kutsche einhieben.
    Erst jetzt fiel mir wieder Marians Plan ein, ihre Seele von der Verbindung mit dem Materiophon zu befreien. Wenn er ihn noch immer in die Tat umsetzen wollte, war dies wohl definitiv der einzige Zeitpunkt dafür. Noch hatten wir das Loch im Nichts nicht verlassen, noch konnte er die Maschine hierlassen und hoffen, dass das Nichts die Verbindung zwischen beiden fraß, wenn wir nur weit genug wegfuhren. Ich stand auf und hielt mit langen Schritten auf den Lagerraum zu. Das Schnauben der Schleuse, die das Ein- und Aussteigen inmitten des Nichts ermöglichte, ertönte.
    Ohne zu zögern, betätigte ich den Knopf, der die Schiebetür öffnete, die die beiden Bereiche des Schiffs voneinander trennte, trat ein und sah mich unversehens einem behelmten Marian gegenüber, der gerade den Verschlag von Ylvas Kutsche aufklappte.
    Mit einem Zischen schloss sich die Tür hinter mir wieder. »Hey«, sagte ich.
    Marian antwortete nicht. Er sah nicht einmal auf. Stattdessen beförderte er seelenruhig das Materiophon aus den Tiefen der Kutsche zutage. Ylva brüllte auf, als er es an ihr vorbei und aus ihrer Reichweite schob. Sie versuchte, ebenfalls ins Freie zu drängen, doch da hatte Marian die Kutsche schon wieder fest verriegelt.
    Ich trat näher an ihn und den alchimistischen Apparat heran, den seine Eltern einst entwickelt hatten, um Ylvas Seele zu heilen.
    »Du willst es also wirklich tun?«, fragte ich. »Ganz egal, ob der Weiße Löwe jemals wieder auftaucht?«
    »Geh einfach wieder zu den anderen, Flora«, sagte er.
    »Wieso?«
    »Lass mich das hier alleine machen, okay?« Er stemmte sich gegen das Materiophon. Der schwere Kessel schabte über den Boden, verhakte sich an einer Fuge zwischen den Marmorkacheln und drohte zu kippen. Im letzten Moment fing Marian die Apparatur auf, dann riss er sich schnaubend den Helm vom Kopf und wischte mit Daumen und Zeigefinger den Schweiß aus seinen Augen. Um seinen Mund herum lag wieder dieser harte Zug, der sich dort stets zeigte, wann immer Marian eine schwere Entscheidung treffen musste.
    »Ich dachte, du könntest vielleicht meine Hilfe gebrauchen«, sagte ich. »Soll ich bei Ylva bleiben und sie beruhigen?«
    »Du sollst weggehen. Kapierst du das nicht?«
    Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Was hatte Marian denn auf einmal? Vorhin in der Stadt hatte er doch noch ganz ruhig gewirkt, bevor er zu seiner Wache bei den Zwillingen aufgebrochen war.

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