Nacht der Begierde (Geraldine Guthrie) (German Edition)
gegenüber fast so etwas wie eine Schüchternheit und auch Belch, der bisher eher provokant gewesen war, schien an ihren Lippen zu kleben. Geraldine wusste nicht, ob dies mit der besonderen Situation zusammenhing, in der sie sich befanden, aber sie glaubte es nicht. Ein eher selbstbewusster und teilweise sogar rücksichtsloser Mann wie Belch würde sich auch in einer solchen Situation in den Mittelpunkt spielen, es sei denn, er hatte ernsthaftes Interesse an einem Thema. Iaron dagegen begleitete die Ausführungen der alten Frau mit seiner lebhaften Mimik. Bei ihm war es deutlich, dass er an allem interessiert war, was sie sagte.
"Was ist das für ein Raum?", wollte er wissen.
"Das ist die alte Bibliothek. Sie ist immer noch voller Magie. Du musst wissen, dass hier früher Geisterbeschwörungen abgehalten worden sind. In diesem Raum ist es mir besonders leicht gefallen, starke Siegel anzubringen."
Iaron sah in dem tiefen Dämmer des Zimmers wesentlich härter aus als im hellen Sonnenlicht. Die Schatten gruben markante Züge in sein Gesicht und zum ersten Mal konnte Geraldine nachvollziehen, warum er und James Brüder waren.
Geraldine selbst befand sich in einem fast tranceartigen Zustand. Sie hatte den Tag über weder gegessen noch geschlafen, und ihr letzter Schlaf musste mehr als 36 Stunden her sein. Und obwohl sie mittlerweile wesentlich kräftiger war, forderte ihre Erschöpfung langsam ihren Preis. Mehr als einmal blickte sie fahrig zu Urbano hinüber und dann wieder zu Iaron und jedes Mal kam aus ihrem Unterleib eine Welle sexuellen Verlangens. Sie hoffte, dass sie dies genauso in den Griff bekommen würde, wie den vampirischen Fluch.
Es verwirrte sie aber auch, dass die Werwölfe ihr mehr als einmal Blicke zugeworfen hatten, die sie als "heiß" bezeichnet hätte, wenn sie mit ihrer Schwester darüber gesprochen hätte. Allem voran war es Iaron, dessen Kopf sich immer und immer wieder zu ihr hin wendete. Allerdings hatte Geraldine bei ihm nicht das Gefühl, dass er sie jemals mit Blicken ausziehen würde. Seine Augen senkten sich jedes Mal, wenn sie ihn ertappte, beinahe schüchtern nach unten.
Ebenso rätselhaft jedoch war ihr Urbano. Sein ausdrucksloses Gesicht wirkte manchmal puppenhaft. Geraldine liebte es nicht, wenn sie Gesichter nicht deuten konnte. Sie hatte dann immer das Gefühl, dass der andere sie täuschen wolle. Noch verwirrender aber fand sie Urbanos "Körpergeräusche". In den letzten Tagen hatte sie ihn immer daran erkannt, dass er innerlich rauschte, offensichtlich, weil er anscheinend aus Wasser bestand. Doch an diesem Abend erschien es Geraldine, als habe er einen Herzschlag, der zwar schwach war, aber vorhanden. Sie fragte sich, ob das etwas damit zu tun hatte, dass Urbano seit längerer Zeit in einem menschlichen Körper steckte. Sie würde ihn später fragen müssen.
Uracha hatte mittlerweile den "offiziellen" Rundgang beendet. Sie stand mit zwei Indianerinnen an dem aufklaffenden Riss in der Mauer und zeigte ihnen irgendetwas.
Iaron kam zu Geraldine herüber. "Fühlst du dich wohl?"
"Das ist keine gute Frage. Wie würdest du dich fühlen, wenn du weißt, dass dir jemand nach dem Leben trachtet?"
"Tut mir leid. Das ist tatsächlich keine besonders intelligente Frage. Ich vergaß, dass das alles für dich sehr ungewöhnlich sein muss."
In diesem Augenblick knurrte Geraldines Magen laut und vernehmlich. Eine Welle der Schwäche erfasste sie und einen Augenblick lang glaubte sie, dass sie in Ohnmacht fiele.
Iaron und Urbano waren sofort bei ihr und stützten sie.
Von der anderen Seite des Raumes hörte sie Uracha sagen: "Auf dem Herd in der Küche findet ihr eine Jambalaya. Sie ist nicht mehr frisch, müsste aber noch schmecken."
Zehn Minuten später saß Geraldine am Küchentisch und schaufelte förmlich das Essen in sich hinein. Die Jambalaya war köstlich, mit großen Shrimps und dicken Stücken Hühnchenfleisch.
Iaron saß neben ihr und grinste. Auch er hatte sich einen Teller aufgetan. Doch er aß viel gemächlicher.
Thorne und Belch gesellten sich zu ihnen, und noch zwei weitere Krieger aus dem Werwolfrudel. Urbano dagegen war verschwunden.
"Seit wann hast du nichts gegessen?"
"Ich glaube", sagte Geraldine und errötete dabei leicht, weil sie den Mund noch halb voll hatte, "seit gestern Mittag. Außerdem bin ich unglaublich müde. Ich weiß bloß nicht, ob ich jetzt schlafen kann."
"Warum nicht?", wollte Iaron wissen.
Geraldine schüttelte den Kopf, mehr, um ihre
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