Nacht der Begierde (Geraldine Guthrie) (German Edition)
Sterben!"
Geraldine fuhr herum. Jetzt erst bemerkte sie, dass sämtliche Pumas um eine Stelle herum hockten, sämtliche Pumas, außer Jasper. Sie ging hinüber.
Xavier flossen Tränen übers Gesicht. Sein schönes, männliches Antlitz war von der Trauer völlig verzerrt und seine Hände zitterten so stark, dass sie an kahle Zweige in einem schweren Sturm erinnerten. Neben ihm hockte Enrico, bleich und emotionslos. Lea und Anastasia stützten sich gegenseitig und obwohl beide nicht weinten, waren ihre Augen gerötet. Dagegen schien Ruth fast ruhig. Sie hatte sich zu Jasper heruntergebeugt und lauschte seinen letzten Worten.
Der Körper des Werpumas lag zerschlagen auf dem Boden. Vom Brustkorb bis in die Beckengegend war nichts Organisches mehr zu erkennen, nur ein blutiger Brei, in dem zerschmetterte Knochen wie fremdartige Lichter aufleuchteten. Beim zweiten Blick sah Geraldine, dass sein linkes Bein abgerissen worden war. Sie hatte es nur nicht sofort erkannt, weil es jemand an die entsprechende Stelle gelegt hatte. Der rechte Oberarm war gebrochen. Ein Stück des Knochens ragte aus der Haut. Und die linke Gesichtshälfte war fast komplett fortgerissen.
Aus seinen Lippen drang blutiger Schaum. Er murmelte einige Worte in das Ohr seiner Gefährtin. Sie nickte sanft. Dann hustete er leise und schloss die Augen.
Geraldine spürte, dass er noch nicht tot war. Doch das Leben sickerte unaufhaltsam aus ihm heraus. Die Tierärztin konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand, auch kein Werwesen, solche Wunden überleben konnte. Zwar hatte sie dies auch schon bei Peter gedacht. Doch im Vergleich zu dem Werpuma war der Werwolf tatsächlich wesentlich leichter verletzt. Und auch da hatte sein Leben schon auf der Kippe gestanden.
Mutter der Bären trat neben sie. "Kannst du mit der weißen Medizin noch irgendetwas tun?"
Geraldine schüttelte den Kopf. "Das kann ich mir nicht vorstellen. Ein Mensch wäre längst tot gewesen."
Mutter der Bären schwieg. Dann legte sie ihre alte, faltige Hand auf die linke Brust von Geraldine und schloss eine Weile die Augen. Als sie sie wieder öffnete, sagte sie, so leise, dass es niemand anderes hören konnte: "Der Bann hat gehalten. Und der Fluch ist immer noch in dir eingeschlossen, besser und stärker als gestern. Das ist gut, Heilende Hand, das ist gut."
Geraldine wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Dass Mutter der Bären sie mit ihrem indianischen Ehrennamen anredete, beschämte sie und machte sie zugleich stolz. Trotzdem hätte sie vieles dafür gegeben, um den Fluch in ihrer Brust loszuwerden, sei er auch noch so fest versiegelt.
Dann hörte sie, wie hinter ihr eine Bewegung entstand. Sie drehte sich um und erblickte Urbano.
Er hatte keine menschliche Form angenommen, sondern war mehr eine unförmige Erscheinung aus Wasser, in der undeutlich ein Gesicht zu sehen war, sein Gesicht, ein Allerweltsgesicht, das zu schön und zu glatt war, um es lange in Erinnerung zu behalten. Es sei denn, man hatte sich in dieses Gesicht und den Mann, der dahinter steckte, verliebt.
Mit klopfendem Herzen ging die Tierärztin auf Urbano zu. Er erblickte sie. In der wässrigen Mimik deutete sich so etwas wie ein Lächeln an, dann hob sich eine Art Arm aus Wasser empor, glitt auf Geraldines Gesicht zu und kurz, bevor er sie berührte, verwandelte sich das Ende in eine Hand, Urbanos Hand, und streichelte sanft ihre Wange. Dann brach die Wasserform in sich zusammen, platschte auf den Boden, bildete sich erneut.
Ein Mund formte sich, das Gesicht drumherum, doch alles nur halb und ständig im Fluss. Trotzdem sprach Urbano: "Ich werde einige Tage Kraft tanken müssen. Aber ich komme zurück, sobald ich kann."
Die letzten Worte waren in einem zunehmenden Rauschen untergegangen. Dann stürzte das Wasser erneut und zerfloss zwischen den Brettern.
Geraldine drehte sich um, erblickte Iaron, der sie seinerseits betrachtete. Iaron nickte ihr zu, halb mit grimmig entschlossener Miene, halb trauernd. Er schien älter geworden, älter und reifer und männlicher.
Neben ihm hockte Belch, der sich um eine Wunde eines anderen Werwolfs kümmerte.
Dann plötzlich fluteten die ersten Lichtstrahlen durch den Wald, warfen ein schattiges Muster in der Jagdhütte und beendeten die Schrecken der Nacht endgültig.
* * *
Später wanderten sie zum Haus von Uracha zurück.
Der Herrensitz lag in Trümmern, zumindest die eine Hälfte. Doch abgesehen davon, dass die Eingangshalle an der einen Seite keine Wand mehr
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