Nacht der Begierde (Geraldine Guthrie) (German Edition)
ihrer Insassen ohne jegliche Rührung.
* * *
Sie hatten sich vor Uracha versammelt. Zwei der Indianer ragten in ihrer Bärengestalt hinter den Menschen auf. Die Mutter der Bären verbeugt sich vor der alten Frau und sagte: "Die Zeiten sind andere geworden und ich weiß, dass du dich aus dem Kampf schon lange zurückgezogen hast. Doch bitte ich dich heute Abend um Hilfe, da wir in Not sind und ein Haus brauchen."
Uracha antwortete nicht sofort. "Ich weiß, warum ihr hier seid. Und auch wenn ich heute auf andere Art und Weise arbeite als früher, seid ihr alle willkommen. Ich habe schon lange niemanden mehr aus der Gemeinschaft der Bären unter meinem Dach begrüßen können und fast ebenso lange niemanden aus dem Stamm der Wölfe."
"Dafür danke ich.", sagte die alte Indianerin.
"Als ich von eurer Ankunft erfuhr, habe ich sofort alles nötige veranlasst. Und vielleicht beruhigt es euch zu hören, dass der Älteste, den ihr so fürchtet, verletzt und schwach ist. Es mag sein, dass er diese Nacht noch für seine Wunden braucht. Sein Zorn allerdings ist gewaltig. Wenn er heute Nacht nicht zuschlagen kann, wird er es morgen Nacht umso sicherer tun. Doch das würde uns Zeit verschaffen. Zeit, die wichtig für uns wäre."
"Dann wollen wir hoffen, dass dieser Abend für uns bleibt und für unser Anliegen, den Bund zwischen Wölfen und Bären und Menschen zu erneuern."
Iaron trat jetzt hervor. "Auch wir danken dir für deine freundliche Aufnahme und werden versuchen, dir alle Ungelegenheiten fernzuhalten."
Uracha lachte leise mit ihrer rauchigen, schwindenden Stimme. "Deine Rücksicht ist höflich, doch das musst du nicht. Ich habe Ungelegenheiten immer gesucht. Ich bin nicht feige, wenn es darum geht, einen gerechten Kampf offen zu führen. Ihr seid herzlich eingeladen."
Sie drehte sich um und verschwand im Haus. Alle anderen folgten ihr.
* * *
Es stellte sich heraus, dass Uracha ihre geheimen Kommunikationswege angezapft hatte und längst Bescheid wusste. Lange bevor Geraldine und ihre Beschützer eingetroffen waren, bereitete sie ihr Haus auf den Kampf vor. Normalerweise konnte ein Vampir in ein kaputtes Haus ohne Einladung eindringen. Der alte Herrensitz wies tatsächlich neben zahlreichen Löchern im Dach auch mehrere Risse in den Wänden auf, groß genug, dass ein Mensch oder ein Vampir hindurchpasste.
Uracha führte ihre Gäste herum und erklärte ihnen, wie der Schutz funktionierte. Unter ihrer unterkühlten Art schwang ausnahmsweise ein leichter Ton des Stolzes mit.
"Es ist nicht so einfach", erklärte sie, "aber es geht. Man kann die kleineren Löcher durch Bannsprüche versiegeln und die größeren, die für einen Einstieg geeignet sind, mittels Brettern schließen. Außerdem habe ich Draech beschworen."
"Du hast Draech beschworen?", wollte Belch erstaunt wissen.
Uracha nickte. "Die Vampire können sie nicht leiden und meiden sie."
"Was sind Draech?", fragte Geraldine.
Uracha wandte sich ihr zu. "So ganz genau weiß das niemand. Manche bezeichnen sie als Geister und andere als Kobolde. Im späten Mittelalter haben sie die Gewohnheit angenommen, sich in schwarze Kutten zu hüllen, sich Knochenflügel aus Vogelknochen anzuheften und eine Sense zu tragen. In manchen alten Schriften glaubt man, dass sie den Tod nachahmen wollen, bzw. das Bild, das die Menschen vom Tod geschaffen haben."
"Ach das sind diese kleinen Sensenmänner?" Geraldine kicherte.
Uracha nickte. "Sie sind nicht gefährlich. Sie tauchen nur überall dort auf, wo Vampire gerade gestorben sind. Offensichtlich ernähren sie sich von deren Überresten. Doch was sie sonst tun, ist nicht bekannt. Sie verschwinden selbst aus der Astralwelt, wenn sie sich dematerialisieren."
Die alte Frau zeigte auf einen besonders großen Riss, der in einem Zimmer, das früher mal eine Bibliothek gewesen sein musste, die Wand durchbrach. Von draußen fiel keinerlei Licht mehr herein. Was die Dämmerung nicht bereits verschluckt hatte, wurde durch den dichten Pflanzenbewuchs abgehalten. Die Zeit der Vampire war angebrochen.
Um den Riss herum konnte Geraldine Bewegungen erkennen, und wenn sie sich konzentrierte, sah sie höchst durchsichtige, kleine Gestalten, deren Kapuzengewand und Flügel sie mehr erahnte, als dass sie sie sah.
Sie konnte sich zwar nicht vorstellen, dass diese kleinen Wesen einem Vampir Schrecken einjagten, doch sie vertraute auf die Erfahrung von Uracha. Mit der alten Frau war sowieso etwas seltsam. Mutter der Bären zeigt ihr
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