Nacht der Begierde (Geraldine Guthrie) (German Edition)
mich gerettet hast."
"Vielleicht erzählt nur einer und bitte der Reihe nach. Als allererstes möchte ich wissen, was in der Nacht passiert ist, in der du mich ins Krankenhaus gebracht hast. Ein Vampir hat mich gebissen und du hast mich gerettet. Du hast auf irgendeine Art und Weise den Fluch eingekapselt. Aber was genau hast du getan?"
Urbano schwieg einen Moment.
"Du warst nicht sonderlich weit von deiner Wohnung entfernt, vielleicht fünfhundert Meter und es waren sogar Autos auf der Straße unterwegs. Aber das hat den Vampir offensichtlich nicht gestört. Und welcher Mensch hätte ihn schon aufhalten können? Ungewöhnlich ist nur, dass er trotzdem diese Öffentlichkeit gewählt hat und nicht gewartet hat, bis du an einer dunklen Ecke vorbei musstest. Er hat dich angegriffen, ich wollte dir zu Hilfe eilen und bin einen Moment zu spät gekommen. Da hatte er schon seine Zähne in deinen Hals geschlagen. Ich habe ihn getötet und dann sofort damit begonnen, den Fluch in deinem Körper zu bekämpfen."
"Aber das macht keinen Sinn. Eben hast du gesagt, du hättest den Auftrag bekommen, mich zu schützen. Also musstest du schon vorher von dem Angriff wissen oder es gibt noch eine andere Gefahr, in der ich mich befinde?"
Geraldine beobachtete Urbano scharf. Wieder fiel ihr sein beinahe gleichgültiger Gesichtsausdruck auf. Doch sie glaubte so etwas wie einen flüchtigen roten Schimmer über seine Wangen gleiten zu sehen, als errötete er, weil sie ihn bei einer Lüge ertappt hatte.
"Darüber kann ich nicht sprechen. Ich soll dich am Leben erhalten und verhindern, dass du zum Vampir wirst. Und es war nie meine Absicht, dass du in diese missliche Lage gerätst. Aber vielleicht darf ich wenigstens zu Ende erzählen, was in dieser Nacht passiert ist. Nachdem du einigermaßen stabil warst, habe ich dich ins Memorial gebracht. Danach habe ich dich verlassen und den Rest hast du ja selbst erlebt."
Die Tierärztin schaute ihren Retter mit funkelnden Augen an. Entweder war es tatsächlich so undramatisch gewesen, oder er log sie an. Das konnte sie sich zwar nicht vorstellen, aber mittlerweile war sie auf alle möglichen Überraschungen gefasst.
"Nein!", sagte Urbano zu ihrer Überraschung. "Es gibt keine weiteren Geheimnisse dieser Nacht. Es gibt keine wilden Verfolgungsjagden, keine dramatischen Gegner, keine wilden Beschwörungen auf verlassenen Friedhöfen. Manchmal erzählt das Leben Geschichten wie aus dem Film, denkt sich aber nicht die passenden Effekte aus."
Belch verdrehte in gespielter Empörung die Augen. "Da spricht unser weiser Konfuzius. Wenn du das nächste Mal Bauernregeln von dir gibst, lass es mich vorher wissen, damit ich mir die Ohren zuhalten kann. Iaron steckt auch voller solcher Verallgemeinerungen."
"Ich finde das logisch.", sagte die kleine Rose.
"Du! Du bist ja auch nur ein kleines Mädchen. Was kannst du das schon wissen?"
Geraldine war sich ziemlich sicher, dass bei der nun folgenden Antwort ein gewisser erwachsener Schalk in den Augen des Kindes aufblitzte. "Ich habe meine Perspektive und die ist wertvoll. Magst du mir den Kopf tätscheln?"
Geraldine begann zu lachen und auch Belch und Thorne stimmten ein. Nur Urbano reagierte nicht.
"Mama ist übrigens tot.", sagte Rose.
Dieser Satz traf Geraldine so unvermittelt, dass ihr Tränen in die Augen traten. "Sie ist tot? Wie ist das passiert?"
"Ein Auto hat sie überfahren. Sie ist auf der Stelle gestorben. Aber das ist schon lange her. Ich erinnere mich kaum noch an sie. Als es passiert ist, war ich anderthalb Jahre alt. Seitdem lebe ich bei meiner Urgroßmutter. Es ist für mich also gar nicht so schlimm. Trotzdem ist es schade, dass ihr beiden euch nicht besser kennen gelernt habt. Urgroßmutter hat immer erzählt, dass Mutter es gerne gewollt hätte. Immerhin hat sie dich während der Geburt schwer verletzt und dafür hatte sie sich bei dir entschuldigen wollen. Aber es ging natürlich nicht, weil du ja von uns nichts wissen durftest. Ich bin froh, dass ich dir das jetzt sagen kann."
Mittlerweile war die Sonne tief über den Horizont gesunken. Da die Wagen häufiger durch hohen Wald fuhren, schien die Dämmerung sehr nahe. Zwischendurch hatte Geraldine Thorne den Weg gezeigt und sie kamen ans Anwesen von Uracha Missunderstood genau in dem Moment, als die Sonnenscheibe den Horizont berührte.
Wieder stand die alte Frau auf der Veranda, eine Zigarette in der Hand, Qualmwolken um ihren Kopf herum und betrachtete die fünf Autos samt
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