Nacht der Dämonin / Magischer Thriller
war, um die Kabalen zu Fall zu bringen. Ein so kindischer, arroganter Schwur, wie ihn nur ein Sechzehnjähriger ablegen kann, auf der Grundlage einer so eindeutigen Unterscheidung zwischen Gut und Böse, wie nur ein Sechzehnjähriger sie treffen kann. Ich arbeitete mich immer tiefer in die Kabalenkultur und ihre Gegenkultur hinein, nicht mehr Prinz jetzt, sondern Außenseiter. Aber statt mich zu beflügeln, diente die Distanz lediglich dazu, das Bild klarer und klarer werden zu lassen, und je klarer ich sah, desto besser erkannte ich auch die Schattierungen zwischen Schwarz und Weiß.
Kabalen stellen für Hunderte von Paranormalen in der Tat eine Welt dar, in der sie zu Hause sind. Die Bedeutung dieser Tatsache für Leute, die andernfalls ihr ganzes Leben damit verbringen würden, sich zu verstecken, darf man nicht unterschätzen. Es sind Leute, die angesichts ihres blutenden Kindes abwägen müssen, ob es riskanter ist, mit dem Kind zum Arzt zu gehen, als es nicht zu tun. Neun von zehn der Angestellten, die meinem Vater Tag für Tag zulächeln und zunicken, sind ihm aufrichtig dankbar und haben keine Angst vor ihm.
Wenn sie die Kabale verraten, wird ihre Strafe die Exekution sein – eine fürchterliche Exekution. Aber sie haben gar nicht die Absicht, dies zu tun. Ja, sie haben Geschichten von ermordeten Familien gehört, aber das waren die anderen Kabalen. Ja, sie haben sogar von Angestellten der Cortez-Kabale gehört, die umgebracht wurden, nachdem sie die Organisation verlassen hatten, aber das ist eben der Preis, den man dafür zahlt, dass man die Vorteile nutzt. Zu diesen Vorteilen gehört es, geschützt zu sein, und wenn die Kabale einen ehemaligen Angestellten umbringen muss, um ihre Geheimnisse zu bewahren, dann sei’s drum.
Ist die Kabale also böse? Nein. Gibt es Böses innerhalb der Kabale? Zweifellos. Das ist es, was ich bekämpfe – die Gier und die Korruption, die in einer Umgebung gedeihen, in der man nur »Sicherheitsbedenken!« rufen muss, um einen Mord zu rechtfertigen. Aber die Welt liebt schwarzweiße Bilder. In mir möchten die Paranormalen entweder einen Unruhestifter oder einen Erlöser sehen. Ich bin keins von beiden und somit eine Enttäuschung.
Ich weigere mich, für den Konzern zu arbeiten oder am gesellschaftlichen Leben der Kabale teilzunehmen, aber trotzdem halte ich eine Beziehung zu ihrem Hauptgeschäftsführer aufrecht. Dadurch, dass er mich offiziell zu seinem Erben ernannt hat, bietet mein Vater mir die Chance, selbst die Kabale zu übernehmen und sie von innen heraus zu reformieren. Aber auch das lehne ich ab. Einfache Fragen, könnte man meinen. Einfache Entscheidungen. Wenn man die Institution verabscheut, wendet man sich ganz von ihr ab. Will man sie lediglich verändern, übernimmt man sie. Schwarz und Weiß.
Selbst damit, dass ich heute hierherkomme, werde ich beide Seiten verstimmen. In den Augen der einen pfusche ich damit in Kabalenangelegenheiten hinein, ohne auch nur den Auftrag eines Mandanten als Entschuldigung zu haben. In den Augen der anderen gestatte ich meinem Vater wieder einmal, mich in seine Welt hineinzuziehen unter dem Vorwand, ich sollte ihm bei der Bewältigung einer Krise helfen – dem Vorwand also, den er auch im Zusammenhang mit dem Edward-und-Natasha-Problem vor vier Jahren angeführt hat. Ich weiß seit längerer Zeit, dass dies genau das ist, was ich zu erwarten habe, wann immer sich mein Weg und der meines Vaters in beruflichen Fragen kreuzen. Es ist nicht zu vermeiden. Aber einfacher macht das die Sache nicht.
Paige und ich betraten das Terminal, ich mit den beiden kleinen Reisetaschen, während sie ihren Laptopkoffer trug.
Wir arbeiteten uns durch die Menschenmenge, die ankommende Freunde und Verwandte begrüßte. Sechs oder sieben Meter entfernt saß Karl allein auf einer Sitzbank und las eine Zeitung. Trotz des Geschreis und der Zurufe ringsum sah er nicht einmal auf.
Als wir das Gewühl hinter uns gebracht hatten, faltete er die Zeitung zusammen, stand auf und entfernte sich tiefer in das Gebäude hinein. Paige zog mir zugewandt die Brauen hoch. Wollte er einfach vorsichtig sein, oder hatte er den Verdacht, jemand könnte ihm gefolgt sein? Aber nicht einmal ein Dutzend Schritte weiter blieb er stehen, drehte sich zu uns um und warf uns einen gereizten Blick zu: Kommt ihr jetzt oder nicht? Er ließ uns kaum Zeit, ihn einzuholen, bevor er weiterging.
»Wir sollten einen Ort mit einem gewissen Maß an Privatsphäre finden«,
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