Nacht der Füchse
öffnete einen Schrank und nahm einen alten Leinenbeutel heraus. »Vier Weißbrote.«
»Jesus!«, rief Gallagher. »Wen mussten Sie dafür umbrin gen?«
»Außerdem ein Viertelpfund China-Tee und einen Schwei neschinken. Okay?«
»Es ist angenehm, mit Ihnen Geschäfte zu machen«, sagte Gallagher. »Bis nächste Woche.«
Anschließend fuhr er zum Truppenversorgungsdepot in der Wesley Street. In der ehemaligen Reparaturwerkstatt standen jetzt ein halbes Dutzend Lkws. Es tat sich nicht viel, doch saß ein stämmiger Feldwebel namens Klinger in seinem kleinen Glasverschlag und aß ein belegtes Brot. Er winkte, öffnete die Tür und kam die Treppe herab.
»Herr General«, sagte er freundlich.
»Oha, Hans, Sie sorgen aber gut für sich«, sagte Gallagher in ausgezeichnetem Deutsch und klopfte dem anderen auf den rundlichen Bauch.
Klinger lächelte. »Man muss ja leben. Wir sind doch erfah rene Soldaten, Herr General, Sie und ich. Wir verstehen einan der. Sie haben etwas für mich?«
»Zwei Säcke Kartoffeln für die offizielle Ablieferung.«
»Und?«
»Einen dritten Sack für Sie, wenn Sie Interesse haben.«
»Und dafür wollen Sie…?«
»Benzin.«
Der Deutsche nickte. »Zwanzig Liter.«
»Zweimal zwanzig«, forderte Gallagher.
»General.« Klinger ging zu einer Reihe Benzinkanister, die aus britischen Armeebeständen kamen, und brachte zwei zum Lieferwagen hinaus. »Was wäre, wenn ich Sie anschwärzte? Sie verlangen zu viel.«
»Ich käme ins Gefängnis und Sie könnten auf Urlaub ge hen«, antwortete Gallagher. »Die russische Front soll um diese Jahreszeit sehr angenehm sein.«
»Wie immer denken Sie überaus praktisch.« Klinger zerrte die drei Säcke von der Ladefläche. »Irgendwann schaut eine Patrouille mal in Ihren Tank – und dann kommt raus, dass Ihr Benzin die falsche Farbe hat.«
»Ich bin aber ein Zauberer, mein Freund. Habe ich Ihnen das noch nicht gesagt?« Mit diesen Worten stieg Gallagher ein und fuhr weiter.
Wehrmachtsbenzin war rot eingefärbt, grün die Ration für landwirtschaftliche Nutzung, und Ärzte erhielten eine rosarote Tankfüllung. Klinger wusste offenbar noch nicht, dass es ein Kinderspiel war, die alte Farbe zu entfernen, indem man das Benzin durch den Filter der Gasmaske laufen ließ, die zu Be ginn des Krieges an jeden Inselbewohner ausgegeben worden war. Ein schwacher grüner Zusatz verwandelte Militärbenzin sofort in landwirtschaftlich zugelassenen Treibstoff.
Ja, es ging ums Überleben. Jersey war eine alte Insel, und das Le-Brocq-Blut, das in seinen Adern floß, machte ihn un gemein stolz auf diese Tatsache. Im Lauf der Jahrhunderte hat te Jersey viel erdulden müssen. Vor dem Hotel Pomme d’Or, dem Marinehauptquartier der Deutschen, warf er einen Blick auf die Naziflagge und sagte leise: »Und wir werden noch hier sein, wenn ihr Schweinehunde längst wieder verduftet seid!«
5
Gallagher stellte den Lieferwagen vor der Brückenwaage ab, ging den Albert-Pier entlang und erstieg die Treppe zum höch sten Punkt. Unterwegs blieb er stehen, um sich eine seiner französischen Zigaretten anzuzünden und einen Blick über die Bucht zu werfen. Der Nebel war jetzt weniger dicht und ließ das Elizabeth Castle auf seiner Insel fremd und märchenhaft erscheinen. Einst hatte dort Walter Raleigh als Gouverneur geherrscht. Jetzt die Deutschen mit ihren Betonbunkern und Artilleriestellungen.
Gallagher schaute in den Hafen hinab. Wie immer herrschte dort ein lebhaftes Treiben. Unter anderem setzten die Deut schen Binnenfrachter ein, um die Kanalinseln zu versorgen. Auf der anderen Seite, am neuen Nordkai, waren mehrere da von vertäut. Außerdem lagen mehrere Einheiten der 2. Vorpo stenbootsflottille und zwei M40-Minensuchboote der 24. Mi nensuchflottille im Hafen. An der Albert-Pier hatten mehrere größere Schiffe festgemacht, vorwiegend Küstenfrachter, dar unter die SS Victor Hugo.
1920 von den Ferguson Brothers in Glasgow für eine franzö sische Küstenhandelsfirma erbaut, hatte die Victor Hugo ihre beste Zeit ganz offensichtlich hinter sich. Der Schornstein wies an mehreren Stellen Einschläge auf; vor zwei Wochen hatten RAF-Beaufighter wieder einmal den Nachtkonvoi von Granvil le angegriffen und ihre Spuren hinterlassen. Als Kapitän gebot Savary über eine zehnköpfige französische Mannschaft. Die Luftabwehr des Schiffes bestand aus zwei MGs und einem Bofors-Geschütz, bemannt von sieben deutschen Maaten, die unter dem Kommando
Weitere Kostenlose Bücher