Nacht der Füchse
Bücherregalen, trat durch und erstieg die schmale Treppe, nicht ohne den Durch gang hinter sich zu schließen. Kelso hatte sich mit einigen Kis sen abgestützt und las beim Schein einer Öllampe. Die Holzläden des Giebelfensters waren vorgelegt, ein dicker Vor
hang sorgte für zusätzliche Abschirmung.
Er hob den Blick und lächelte. »Was haben wir denn da?«
»Nicht viel. Tee, aber wenigstens echten Tee, und ein Käse brot. Ich mache den Käse neuerdings selbst – es bleibt Ihnen also nichts anderes übrig, als ihn zu mögen. Was lesen Sie da?«
»Eins von den Büchern, die Sie mir gebracht haben. Eliots Vier Quartette.«
»Sie lesen Lyrik – als Techniker?« Sie setzte sich ans Fu ßende des Bettes und zündete eine der Gitanes an, die Gallag her ihr überlassen hatte.
»Früher hatte ich kein Interesse an solchen Dingen – aber jetzt ist Krieg.« Er zuckte mit den Achseln. »Mir geht es ver mutlich so wie vielen anderen: Ich möchte auf viele Fragen Antworten haben. ›In meinem Ende liegt mein Anfang‹, sagt dieser Mann. Aber was liegt dazwischen? Was hat das alles zu bedeuten?«
»Nun ja, Sie müssen es mir unbedingt erzählen, wenn Sie die Antwort wissen.« Helens Blick fiel auf das Foto von Frau und Töchtern auf dem Nachttisch, und sie betrachtete es eingehend. »Denken Sie oft an sie?«
»Die ganze Zeit. Sie bedeuten mir alles. Meine Ehe war wirklich ein Glücksfall – nicht mehr, nicht weniger. Ich hatte mir nie etwas anderes gewünscht – aber dann kam der Krieg und brachte alles durcheinander.«
»Ja, das hat er so an sich.«
»Trotzdem kann ich mich nicht beklagen. Ein bequemes Bett, gutes Essen, und die Petroleumlampe schafft eine hübsch altmodische Atmosphäre.«
»In diesem Teil der Insel wird der Strom genau um neun Uhr abgestellt«, sagte sie. »Ich kenne Leute, die wären froh, wenn sie eine solche Lampe hätten.«
»Ist die Lage wirklich so schlimm?«
»Aber ja!« Ein Anflug von Verärgerung lag in ihrer Stimme. »Was denken Sie? Sie können von Glück sagen, solchen Tee vorgesetzt zu bekommen. Überall auf der Insel muss man sich mit einem schlecht schmeckenden Ersatz aus Pastinak oder Brombeerblättern behelfen. Oder probieren Sie mal Eichelkaf fee. Keine sensationelle Sache.«
»Und die sonstige Versorgung?«
»Man muss sich eben daran gewöhnen, mit viel weniger aus zukommen. Das Gleiche gilt für Tabak.« Sie hob die Zigarette. »Das ist das echte Kraut – und natürlich vom Schwarzmarkt, aber man bekommt alles, wenn man die richtigen Verbindun gen oder jede Menge Bargeld hat. Den Reichen geht es nach wie vor sehr gut. Die Banken rechnen allerdings nicht mehr in Pfund, sondern in Reichsmark ab.« Sie lächelte. »Möchten Sie wissen, wie es auf dem besetzten Jersey wirklich ist?«
»Ja, das wäre interessant.«
»Langweilig.« Sie schüttelte ihm das Kissen auf. »Ich lege mich jetzt hin.«
»Morgen ist der große Tag«, sagte er.
»Wenn wir Savarys Nachricht glauben wollen.« Sie nahm das Tablett auf. »Versuchen Sie zu schlafen.«
Orsini hatte Sarah seine Kabine überlassen. Sie war sehr klein und enthielt nur Schrank, Waschbecken und Einzelkoje. Die Luft war stickig. Das Bullauge war mit schwarzer Farbe ver schmiert, und das Dröhnen der Motoren bereitete ihr Kopf schmerzen. Sie lag auf der Koje, hatte die Augen geschlossen und versuchte Ruhe zu finden. Plötzlich schien das Schiff zu torkeln. Natürlich täuschte sie sich! Sarah fuhr hoch, im näch sten Moment gab es eine Explosion.
Nun schien alles in Zeitlupe abzulaufen. Das Schiff kam völ lig zur Ruhe, als warte es auf ein großes Ereignis – dann gab es wieder einen heftigen Ruck. Diesmal zitterten die Schiffswan dungen von der Explosion. Sarah schrie auf und versuchte auf zustehen, aber da legte sich der Boden schräg und ließ sie gegen die Tür fallen. Ihre Handtasche fiel vom Schrank und lag neben ihr auf dem Boden. Automatisch griff sie danach und drückte den Türgriff herab, aber alles klemmte. Verzweifelt ruckelte sie am Griff, dann öffnete sich die Tür so plötzlich, dass sie heftig gegen die andere Wand prallte.
Orsini stand auf der Schwelle. Sein Gesicht war sehr blass. »Schnell!«, befahl er. »Kommen Sie! Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
»Was ist los?«, fragte sie, aber schon packte er ihre Hand und zerrte sie mit.
»Torpedoangriff. Zwei Treffer. Wir haben nur noch wenige Minuten. Der alte Kahn säuft ab wie ein Stein.«
Sie eilten den
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