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Nacht der gefangenen Träume

Nacht der gefangenen Träume

Titel: Nacht der gefangenen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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Knäuel ein bunter Flügel reckte, größer wurde, sich dehnte … ein Kopf kam hinterher, beäugte sie misstrauisch mit kleinen Augen, verschwand wieder und tauchte gleich darauf erneut auf. Er sah aus wie der Kopf eines Kanarienvogels, doch er hatte drei Augen, und statt Federn bedeckten ihn glänzende Schuppen. In diesem Moment ertönte von weit oben aus dem Gewirr von Leitern, schmalen Brücken und Käfigen ein metallener Ton, als schlüge jemand mit einer schweren Stange gegen ein Gitter. Der schuppige Kopf und der Flügel verschwanden sofort. Das Wesen war wieder nichts als ein unkenntliches Knäuel.
    »Sie sind … irgendwie … zusammengepresst«, wisperte Änna. »Komprimiert. So sehr, dass man sie nicht erkennen kann.«
    Frederic dachte an eine gewisse Stofftasche in seinem Kleiderschrank, aus der nach und nach Wurzeln gewachsen waren. Keine Flügel, gut. Trotzdem.
    »Die Träume«, flüsterte er. »Es sind all die Träume, die Bruhns den Kindern gestohlen hat! Und er plant, sie zu vernichten. Ihre letzte Nacht ist nicht mehr weit fort. Die letzte Nacht der gefangenen Träume.«
    Als er das gesagt hatte, dröhnte der Ton der Eisenstange noch einmal zu ihnen herunter. Und gleich darauf hörten sie schlurfende Schritte von einem der oberen Teile des Holzgerüsts.
    Jemand war dort.

7. Kapitel
    Nachtschattengewächse
    »Warum machst du eigentlich immer diese plötzlichen Kapitelenden?«, fragt Frederic.
    »Ich weiß nicht. Irgendwo muss man ein Kapitel schließlich beenden.«
    »Aber du kannst doch nicht einfach so abbrechen, wenn es am spannendsten ist! Die Leute wollen sicher alle wissen, wie es weitergeht.«
    »Das nennt man Cliffhanger. Hab nicht ich erfunden. Das machen alle. Außerdem weißt du, wie es weitergeht. Du hast es selbst erlebt.«
    »Ja, nur es ist schon so lange her! Ich erinnere mich nicht mehr genau. Was ist passiert, nachdem wir die Schritte hörten?«
    »Jemand sagte: Ruhe! «
    »Und dann?«

    Jemand sagte: »Ruhe!«
    Frederic spürte, wie Ännas Hand sich fester an seine klammerte. Er knipste die Lampe aus. Sie standen in absoluter Schwärze.
    »Wer hat da Lärm gemacht?«, fragte die Stimme von oben. »Wer leuchtet da in der Nacht mit einem blauen Licht herum? Wer?«
    Die Schritte tappten einige Etagen über Frederic und Änna dahin, doch gleich darauf schlurften sie eine Leiter hinab.
    »Ihr wisst genau, dass Licht nachts nicht gestattet ist«, sagte die Stimme.
    »Das ist er«, flüsterte Frederic, so leise er konnte. »Der Alte, der den Schlüssel zur Halle hat.«
    Er wünschte, er hätte sich ebenfalls zu einem unkenntlichen Knäuel komprimieren können, genau wie der Traum von dem geschuppten Vogel.
    »Die Nacht ist für die Nachtschattengewächse unter den Träumen bestimmt«, sagte der alte Mann streng. »Wir hatten uns geeinigt, dass sie nicht gestört werden.«
    Jetzt war die Stimme schon ein oder zwei Stockwerke weiter unten.
    Frederic ging langsam rückwärts und zog Änna mit sich.
    »Wir waren’s nicht!«, piepste etwas aus einem der Käfige.
    Vielleicht eine geträumte Maus oder ein geträumter Hamster.
    »Es war jemand von außerhalb!«, hustete eine geträumte Erkältung.
    »Jemand, der hereinkam!«, fegte ein geträumter Wirbelsturm.
    »Mehrere! Sie kamen mit Licht!«, matschte eine geträumte Geburtstagstorte.
    Schweigt!, wollte Frederic die Träume anschreien. Ihr Idioten! Wir sind hier, um euch zu befreien! Aber – waren sie hier, um die Träume zu befreien?
    Er tastete um sich. Am liebsten hätte er sich umgedreht und wäre gerannt, doch er sah noch immer nichts – nichts außer einer saftigen Menge Schwarz –, und sicher wären sie beim Rennen gegen irgendeinen Teil des Gerüsts gestoßen.
    »Und wer sollte von außen kommen und ein blaues Licht mitbringen?«, fragte der alte Mann streng.
    »Ein Mensch!«, blubberte ein Traum von einem Schwimmbad.
    »Mit einer besonderen Maschine!«, klingelte ein Traum vom Schulschluss.
    »Ich fürchte, es wird Zeit, dass ich das große Licht anmache«, sagte der alte Mann, »um zu sehen, welcher Eindringling hier … äh … eingedrungen ist.«
    »Neeeeeeein!«, tönte es aus vielen Kehlen. Das mussten wohl die Nachtschattengewächse unter den Träumen sein, die lichtscheuen, die Träume von Dunkeldrachen und Fabelwaldgetier und Grottenolmen und Maulwürfen und von unterirdischen Geheimnissen und langem Schlaf.
    »Macht euch klein und schließt die Augen«, warnte der alte Mann. »Bei drei wird es hell. Eins,

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