Nacht der gefangenen Träume
noch durch das Tor des Fabrikgeländes verschwinden wie den Scherenschnitt eines misslungenen Autos oder eines noch misslungeneren Außerirdischen.
»Diesmal kriegen wir heraus, wo er die verdammte Maschine versteckt«, sagte Frederic. »Irgendwo auf dem Gelände von St. Isaac also.«
Doch als sie durch das Tor gingen und ihre Fahrräder hinter dem Autoskelett suchten, waren dort keine Fahrräder mehr. Nur ein beunruhigendes Gebilde lag dort, das aussah, als hätte jemand es aus zwei Fahrrädern hergestellt. Und zwar, indem er mit einer sehr großen schweren Maschine darübergefahren war.
»Oh nein!«, flüsterte Änna und schlug die Hände vors Gesicht. »Wie erkläre ich das meinen Eltern?«
Das Mondlicht zeigte Frederic, dass sie zitterte. War es die Kälte? Das zerstörte Rad? Bruhns? Er wollte die Arme um sie legen, aber irgendwie konnte er sich nicht dazu durchringen. Stattdessen zog er den kratzigen Pullover aus und reichte ihn Änna.
»Du frierst«, sagte er, etwas schroff. »Zieh den hier an. Meine … Mutter hat ihn gestrickt. Er macht schön warm.«
Änna schlüpfte in den Pullover. »Ich wünschte, er könnte machen, dass die Räder wieder heil sind«, wisperte sie.
»Man müsste eine Maschine erfinden, die von selbst Räder repariert«, sagte Frederic seufzend. Und dann legte er doch einen Arm um Änna, wenigstens einen. So wanderten sie gemeinsam zu Fuß zurück durch die Nacht.
Als sie bei St. Isaac ankamen, lag nur der Schatten der Kastanie auf dem Schulhof, stumm und schwarz. Weder von Bruhns noch von Fyscher oder der Maschine war irgendetwas zu sehen. Die altehrwürdigen Engel am Eingang schwiegen sich darüber aus, was sie beobachtet hatten.
Im zerstörten Dachstuhl des Abrisshauses nebenan sang der Wind auf einer eigenen Tonleiter, Schönberg vielleicht, und Frederic sah, wie Änna einen furchtsamen Blick hinüberwarf.
»Das Abrisshaus«, flüsterte er. »Wir sollten mal dort nachsehen.«
»Ich sehe dort sicher nicht nach«, sagte Änna.
»Dann warte hier.«
Frederic zwängte sich durch die Lücke in der Mauer. Die drei rostigen Mülltonnen standen als große schwarze Schatten im Hof, stumm wie stets. Was hatte der verrückte Mülltonnenlehrer zu Frederic gesagt?
Geister sind nur eine Ausrede für die Vergangenheit.
Er wählte ein Fenster, in dem es beinahe kein Glas mehr gab, hörte im Nebenzimmer etwas schreien und erstarrte.
Aber es war kein Geist und auch keine Vergangenheit. Es war ein Wurf junger Katzen, die sich in einer Ecke um die Milch ihrer Mutter zankten. Frederic atmete auf. Die Anwesenheit der Katzen beruhigte ihn. Er war nicht ganz allein im Abrisshaus. Er wartete, bis das Zittern in seinen Beinen verschwunden war, und tappte weiter. Die Räume waren alle leer. Keine Maschine. Nur Spinnweben. Er lief das ganze Haus ab, im blauen Licht der Lampe des besonderen Dietrichs. Alles, was er fand, war ein alter, dreibeiniger Tisch. An den Wänden zeugten helle Vierecke davon, dass hier einst Bilder gehangen hatten. Die Tapete löste sich in langen Streifen. Vielleicht war das wegen des Unglücks, von dem der Mülltonnenlehrer gesprochen hatte. Vielleicht war es nicht gut für die Tapete. Vielleicht hatte Unglück etwas mit Säure gemeinsam.
Frederic stieg eine Treppe hinauf und kam in einen Teil des Hauses, wo noch ein paar Möbel standen und die Bilder noch an den Wänden hingen. Es waren vor allem Fotos, Dutzende gerahmter Fotos, alt, vergilbt; Fotos von einem Mann mit Schnurrbart. Auf manchen war auch ein kleiner Junge zu sehen, steif und ungelenk, in einem Matrosenanzug und weißem Hemd, mit Schuluniform … Es war, dachte Frederic, als hätte derjenige, der die übrigen Fotos abgehängt hatte, sich systematisch durch die Räume vorgearbeitet und wäre noch nicht bis hier oben gekommen. Aus einem der zerbrochenen Fenster konnte er unten auf der Straße Ännas kleine Gestalt sehen.
Er musste zurück. Etwas war hier, etwas, das ihn vermutlich nichts anging. Aber keine Maschine.
Änna atmete sichtbar auf, als er wieder neben ihr stand.
»Dachtest du, ich werde von einer Horde Geister gefressen?«, flüsterte er.
»Es gibt zu viele Gerüchte über das Abrisshaus.«
»Ich habe keine Angst vor Gerüchten«, sagte Frederic. Hoffentlich war es ausreichend dunkel und sie sah ihm nicht an, dass er log. »Lass uns gehen. Die Maschine ist nicht hier.«
So ließen sie das Abrisshaus hinter sich. Der große, klobige Stein bei der Schulhofmauer, den Bruhns vor fünfzehn Jahren
Weitere Kostenlose Bücher