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Nacht der gefangenen Träume

Nacht der gefangenen Träume

Titel: Nacht der gefangenen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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Hund schnupperte er. Das Auto roch innen nach neu und anonym. Keine Kekskrümel, keine verstreuten Kassetten, keine verputzten Taschentücher. Kein Leben. Der Motor schnurrte leise und teuer.
    Draußen zog die Nacht vorüber. Manche der Bäume beugten sich auf ihren Stämmen und warfen neugierige Blicke in das beinahe lautlos vorbeigleitende Gefährt. Aber bei Tage würden sie über die Geschehnisse schweigen.
    »Wohin?«, flüsterte Frederic. »Wohin bringen Sie mich?«
    Er erhielt keine Antwort. Kurz darauf erhielt er doch eine. Das silberne, schnurrende Auto hielt vor einem rostigen Tor, stieß mit der glänzenden, stahlstarken Nase die Torflügel auf und holperte über ein unebenes Feld aus trockenem Gras, das sich im eisigen Scheinwerferlicht grauste.
    Dann hielt es mit laufendem Motor vor einer Frederic allzu bekannten Fabrikhalle. Bork Bruhns sprang aus dem Auto. Es hatte auch hier keinen Sinn, um Hilfe zu rufen. Es war niemand da, der ihm hätte helfen können. Aber wenn er die Hintertür öffnet, trete ich ihn und renne, dachte Frederic. Bruhns öffnete die Hintertür und Frederic trat – ins Leere. Bruhns war geschickt. Ehe Frederics Füße den Boden erreichten, waren seine Arme schon wieder auf seinem Rücken verdreht und er wurde durchs hohe Gras geschleift. Die vereinzelten Schrotthaufen warfen langfingrige Schatten nach ihm. Am Himmel dröhnten die Wolken in lautloser Ungunst. Was hatte Bruhns vor?
    Die einzige Tür, die Frederic kannte, befand sich an der Schmalseite der Halle. Bruhns jedoch zerrte ihn auf die Längsseite zu. Und dort, genau vor der Halle, hatte sich eine der Nachtwolken niedergelassen. Weiß und wabernd starrte sie ihnen entgegen. Ab und zu lösten sich Fetzen ihres Körpers und drifteten in den dunklen Himmel davon. Aber es war keine Wolke. Es war Nebel. Es war Qualm.
    Es war Rauch.
    Und Frederic wusste, woher er kam. Er quoll aus einem gewissen schwarzen Schacht, aus dessen ungeahnten Tiefen mal Stimmen drangen und mal unangenehme Gefühle, die über das Gras krochen.
    Nein! Nicht der Schacht!
    Frederic wurde panisch, wand sich, trat, spuckte, versuchte vergeblich, Bruhns zu beißen, hörte ihn fluchen und bekam stattdessen die Zähne des Direktors zu spüren. Sie verloren beide das Gleichgewicht und landeten im taufeuchten Gras wie zwei Jungen, die auf dem Schulhof miteinander rangen. Bruhns’ Doppelzahnreihen gruben sich tief in Frederics Oberarm und er schrie auf. Aus dem Rauch, aus der Tiefe des umnebelten Schachts, kamen wieder die wispernden Stimmen. Diesmal waren es nicht die Ziesel und der Fyscher.
    Es war Bruhns.
    Man konnte nicht verstehen, was er sagte, aber er war es; eindeutig. Er lag hier auf dem Boden und hielt Frederic fest wie ein Schraubstock und gleichzeitig drang seine Stimme flüsternd aus dem Schacht neben ihnen herauf. Frederic merkte, wie etwas in Bruhns Griff sich veränderte. Seine Finger krallten sich noch eiserner um ihn, doch er hatte begonnen zu zittern. Auch Bruhns hatte die Stimme gehört – seine eigene Stimme. Er hatte Angst.
    Bork Bruhns hatte Angst.
    Diese erstaunliche Tatsache ließ Frederic seine Worte wiederfinden.
    »Was geschieht dort unten?«, flüsterte er. »Die Ziesel und der Fyscher waren auch dort …«
    »Frau Ziesel und Herr Fyscher waren niemals dort«, zischte Bruhns.
    »Ach nein? Und wieso habe ich dann ihre Stimmen gehört?« Der Rauch stieg Frederic in die Augen und brachte ihn zum Husten.
    »Du hast sie dir eingebildet.«
    Eine andere Stimme aus dem Schacht verdrängte jetzt die von Bruhns, eine ältere Stimme, die etwas befahl. Ihre Worte waren so unverständlich wie alles, was aus der Tiefe drang, doch ihr Ton ließ keinen Widerspruch zu. Bruhns zerrte Frederic hoch, fort von den Rauchschwaden. Hatte er sich plötzlich anders entschieden? Er schleifte Frederic um die Wolke aus Zigarrenqualm herum, zog ihn zur Wand der Fabrikhalle und beförderte blitzschnell mit einer Hand etwas Klirrendes aus seiner Tasche: einen Schlüssel. Damit schloss er eine Tür in der Wand auf, die so perfekt verborgen war, dass Frederic sie bisher nie bemerkt hatte. Durch diese Tür stieß Bruhns ihn jetzt, und Frederic taumelte vorwärts in absolute Dunkelheit. Er landete auf den Knien, drehte sich um, aber die Tür war längst wieder ins Schloss gefallen.
    »Leb wohl«, hörte er Bruhns sagen, gedämpft durch die Wand. »Ich hoffe, du hast es bequem dort. Es ist nicht für lange.«
    Frederic blieb einen Moment lang benommen auf dem kalten

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