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Nacht der gefangenen Träume

Nacht der gefangenen Träume

Titel: Nacht der gefangenen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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war es, was der Albtraum wollte! Frederic krallte seine Finger noch fester in den Stoff ihres Pullovers und ließ sich langsam durch das Wasser nach unten sinken.
    Es ist nicht möglich, dachte er. Es ist nicht möglich, im Albtraum von jemand anders zu ertrinken. Und kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende geführt, da wich das Wasser und sie standen auf festem Boden. Ringsum leuchteten Dutzende gelber Augen in der Dunkelheit. Sie glommen wie Feuer in der Finsternis.
    »Es sind keine Augen«, flüsterte Frederic. »Es sind die glühenden Spitzen von Zigarren.«
    Aber die Augen derer, die diese Zigarren rauchten, starrten sie an; unsichtbare Augen im Schwarz des Kellers. Eine Weile schwiegen die Albträume.
    Dann begannen sie zu wispern. Zuerst war das Wispern unverständlich, ein böses Wispern von tausend gespaltenen Zungen, ein Wispern von überall her: Es war vor ihnen und hinter ihnen, unter ihnen und über ihnen, es umkreiste sie und versuchte, sie einzuschüchtern. Alles in Frederic drängte darauf, wegzulaufen, doch er zwang sich, stehen zu bleiben. Es gab ohnehin keinen Ort, keine Richtung, in die man hätte fliehen können. Und nach einer Weile bekam das Wispern einen Sinn.
    »Was wollt ihr?«, zischte es. »Wieso seid ihr gekommen? Wollt ihr, dass wir euch fressen, zerfleischen, in Stücke reißen? Wollt ihr, dass wir euch den Verstand nehmen mit unseren tausend Stimmen und unseren abertausend gemeinen Worten? Hat man euch in den Schacht gestoßen? Hat er euch in den Schacht gestoßen? Ihr armen, hilflosen Menschen. Dies ist euer Ende, wisst ihr das?«
    Frederic schluckte. Ännas Finger drückten seine, so stark sie konnten. Beinahe tat es weh.
    »Niemand hat uns in den Schacht gestoßen«, antwortete er laut, und ein vielfaches Echo warf seine Stimme verzerrt zurück: »Verlacht die Großen, achtzig Hosen, sachte Soßen …«
    Auch die Albträume hatten ihren Teil an Unsinn aus den Köpfen der Träumer abbekommen, wie es schien.
    »Wir sind freiwillig hier«, fuhr Frederic fort.
    »Ei, billig Bier, ein willig Tier, eineiiger Zwilling hier«, wisperte das Echo. Frederic wusste, dass das Echo ihm Angst machen wollte, doch es erreichte das Gegenteil.
    »Wir brauchen eure Hilfe«, sagte er.
    »Im teuren Schilfe …«, antwortete das Echo.
    Frederic schüttelte den Kopf. Es brachte ihn ganz durcheinander.
    »Hört auf, uns auszulachen!« (Kunst-Maus zu machen, grausige Sachen …)
    »Bruhns jagt die Fabrik noch heute in die Luft.« (Leute, ein Schuft, bereute den Duft, Bräute verpufft …)
    »Jetzt macht das alberne Echo aus!«, rief Frederic wütend.
    »Talbahn und Blechdachhaus, freche Laus«, antwortete es. »Schwäche dr…«
    Dann verstummte es abrupt, mitten im Wort. Verblüfft schnappte Frederic nach Luft. Sie hatten ihm gehorcht. Vielleicht aus reiner Neugier, was geschehen würde, wenn sie seinen Befehlen folgten.
    »Wir brauchen euch, um die anderen Träume zu befreien«, fuhr Frederic fort. »Und um Bruhns’ Maschine zu zerstören.«
    »Aber wir sind gefangen«, sagte eine Stimme neben Frederics linkem Ohr. »Wir können niemandem helfen. Und wir wollen auch niemandem helfen. Wir sind die Bösen, schon vergessen?« Die Stimme gehörte dem Albtraum von der Ziesel. Frederic beachtete sie nicht.
    »Wo sind die Albträume von Bork Bruhns?«, rief er, so laut er konnte.
    Die Stimmen begannen durcheinanderzuzischeln und zu flüstern.
    »Vergiss es!«, flüsterten sie. Und: »Wieso sollten wir dir das sagen?«
    Und dann war da eine, bestimmter als die übrigen: »Sie wollen uns überlisten. Glaubt ihnen nicht! Beißt ihre Ohren und Nasen ab! Kratzt ihnen die Augen aus! Macht Hackfleisch aus ihnen. Wir werden sie als Zigarren rauchen wie alles andere auch.«
    Frederic sah, dass sie plötzlich in einem schummrigen Gang standen, vor ihnen eine wabernde Masse aus Schatten mit Zähnen und Krallen. Durch zwei Fenster fiel blasses Mondlicht in den Gang. Die Träume am Ende des Gangs heulten wie ein Rudel Wölfe und stürzten sich auf sie. Frederic und Änna drehten sich um und rannten. Rannten den Flur entlang, stolperten, rannten weiter. Der Flur schien endlos und ihre Beine schienen in zähem Schlick zu stecken. Sie kamen nicht voran. Natürlich – es musste Dutzende dieser Albträume geben, in denen man flieht, ohne vorwärtszukommen.
    Endlich erreichten sie eine steile Treppe, die Frederic irgendwie bekannt vorkam. Dahinter lag noch ein Flur, am Ende dieses Flures gab es zur Rechten eine offene Tür.

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