Nacht der Geister
Mitte dreißig, schlank, mit dem entspannten Grinsen, bei dem Frauenherzen kleine Sätze machen. Sein Blick traf auf meinen, und ich sah in seinen Augen nicht die tierische Gerissenheit der anderen, sondern etwas Komplexeres, eine Stufe der Erkenntnis, die die anderen verloren hatten. Ich sah außerdem, dass er ein Magier war . . . oder doch zumindest Magierblut hatte. Und von seiner Sorte gab es hier nur einen.
Er sagte ein paar Worte in einer Sprache, die ich zunächst nicht verstand, bevor die Bedeutung bei mir ankam. »Ich glaube, unsere hübsche Besucherin ist meinetwegen hier«, sagte er, ohne meinen Blick loszulassen. »Habe ich recht?«
»Vollkommen«, sagte ich.
Sein Blick glitt über mich hin, und er lächelte. »Wenn die Engel mir eine Frau schicken, sind sie jedenfalls nicht kleinlich.«
Links von mir fauchte der Werwolf, den Blick starr auf Dachev gerichtet.
»Das Spiel ist vorbei«, sagte Dachev. »Geht wieder in eure Baue.«
Sie zögerten, aber dann zogen sie sich mit dem einen oder anderen Murmeln und Knurren zurück.
»Komm«, sagte Dachev. »Wir unterhalten uns in meinem Haus.«
»Nein, wir unterhalten uns da drüben«, sagte ich mit einer Handbewegung zu der Wiese hin.
Er nickte und versuchte mich an sich vorbeizuwinken. Ich zeigte stattdessen auf die Straße, und mit einem kleinen Lächeln ging er voran.
42
W ähren dich Dachev folgte,sah ich mich mehrmals um.
Keiner der anderen kam uns nach. Dachev musste hier eine gewisse Macht haben wie der erste Mann, der sein prähistorisches Dorf verlassen und eine größere Welt gesehen hatte. Aber im Gegensatz zu diesen frühen Entdeckern hatte Dachev sein Wissen wohl kaum mit seinen Gefährten geteilt. Er würde den Vorteil, den es ihm bot, so lange wie irgend möglich behalten wollen.
Als wir die Mitte der Wiese erreicht hatten, schaute ich mich erneut um, um sicherzustellen, dass nichts in der Nähe war, das sich auf mich stürzen konnte; dann wandte ich mich Dachev zu und stellte fest, dass er mich studierte nicht mit dem Grinsen von vorhin, sondern mit einem forschenden Starren und einem leichten Stirnrunzeln.
»Wir sind uns schon mal begegnet, oder?«, sagte er. »Du kommst mir bekannt vor . . . andererseits . . . « Das Stirnrunzeln wich einem breiten Grinsen. »Ich bin mir sicher, diesen Engel hätte ich nicht vergessen. Du bist so viel hübscher als der andere, den sie geschickt haben. Er war absolut nicht mein Typ.«
»Wir sind uns nie begegnet«, sagte ich. »Als du das letzte Mal oben warst, war ich noch nicht mal geboren.«
Ein weiterer forschender Blick, er war offensichtlich verwirrt.
Irgendetwas erkannte er, er war sich nur nicht sicher, was es war. Zu traurig für ihn. Wenn er nicht wusste, dass ich eine Hexe war, würde ich ihn bestimmt nicht aufklären ebenso wenig wie ich ihm sagen würde, dass ich kein Engel war.
»Hast du einen Namen, meine Schöne?«, fragte er.
»Den hat wohl jeder.«
Er wartete. Als ich nichts mehr sagte, verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln.
»Der Austausch von Namen ist der erste Teil jeder höflichen Unterhaltung«, sagte er.
»Stimmt«, sagte ich.
Er begann zu lachen. »Du hast nicht vor, dich gut mit mir zu stellen, stimmt’s? Der andere hat es getan. Er war sehr höflich. Sehr . . . verständnisvoll. Er hat mich nicht mitten in der Wiese stehen lassen. Er hat an meinem Tisch gesessen und mir erklärt, dass er verstanden hatte ich war in Versuchung geraten und hatte ihr nachgegeben. Er war schließlich selbst ein Mensch gewesen, er wusste Bescheid. Die Parzen hatten einen Fehler gemacht, als sie einen armen Sünder wie mich in die Nähe eines Wesens wie die Nixe hatten kommen lassen. Sie hatte mich in Versuchung geführt, und ich war gefallen.«
»Aha. Können wir weitermachen? Du weißt, warum ich hier bin, also «
»Siehst du? Jetzt bist du unhöflich. Katsuo war viel netter. Er hatte es nicht eilig. Er hat mir zugehört, hat aufmerksam zugehört, als ich meine Sünden bekannt und ihm erzählt habe, was die Nixe und ich getan hatten. Dann habe ich ihm erzählt, was ich mir wünschte, getan zu haben . . . in wundervollem Detailreichtum, alles, was ich mit diesen Frauen gemacht hätte, wenn ich im Körper des Mörders gesteckt hätte. Jeden Schnitt, den ich angebracht, jede Entwürdigung, die ich ihnen zugefügt hätte.«
Sein Gesicht verzog sich zu einem gespielten Stirnrunzeln. »Da ist er dann gegangen. Ohne sich auch nur zu verabschieden.«
Er sah mich an. »Meinst du,
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