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Nacht der Geister

Nacht der Geister

Titel: Nacht der Geister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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bist.«
    »Erdspuker?«

    »Ich bin ein gequälter Geist!«, sagte er; seine Stimme hob sich wie die eines Predigers auf der Kanzel. »Dazu verdammt, die irdische Welt zu durchwandern, bis meine Seele Ruhe findet. Fünf Jahre lang fünf unvorstellbar lange Jahre bin ich jetzt hier gefangen, außerstande, ins Licht zu gehen, und ich will nur ein paar Minuten von der Zeit eines Nekromanten «
    Jaime ließ den Kopf auf die Tischplatte fallen und stöhnte. Die ältere Frau am Nebentisch schob ihren Stuhl vorsichtig in die entgegengesetzte Richtung.
    »Siehst du, wie sie mich behandelt?«, sagte der Mann zu mir.
    »Sie könnte mich freigeben, aber nein, sie ist viel zu beschäftigt muss in Talkshows auftreten, den Leuten erzählen, wie sie gequälten Seelen hilft, ihren Frieden zu finden. Aber wenn ein wirklicher Geist auftaucht? Der wirkliche Qualen leidet?
    Der nichts weiter will, als sich rächen an dem Menschen, der sein Leben beendete, seine Frau zur Witwe, seine Kinder zu Waisen machte «
    »Du hast keine Kinder«, sagte Jaime durch zusammengebissene Zähne.
    »Weil ich gestorben bin, bevor ich die Möglichkeit hatte!«
    Ich beugte mich zu Jaime hin vor und senkte die Stimme.
    »Sieh mal, der Typ ist ein Trottel, aber wenn du ihm helfen würdest, wärst du ihn los «
    Sie stand abrupt auf und ging zur Tür. Als ich sie eingeholt hatte, sagte sie leise: »Frag ihn, wie er gestorben ist.«
    Der Geist war unmittelbar hinter uns; er antwortete, bevor ich auch nur fragen konnte. »Ich erinnere mich gut! Der letzte Tag meines Lebens. Ich war glücklich, die Welt war schön «
    »Es gibt keinen Oscar für Sterbeszenen«, sagte ich. »Die Tatsachen, bitte.«

    »Ich war auf der Heimfahrt von einer geschäftlichen Besprechung«, begann er.
    »Die in einer Bar stattgefunden hatte«, ergänzte Jaime, während sie in einen Durchgang abbog.
    »Es war nach Feierabend«, sagte er. »Gegen ein, zwei Gläser ist ja wohl nichts einzuwenden.«
    »Oder fünf oder sechs.« Sie blieb stehen und drehte sich zu mir um; von der Straße her konnte man sie jetzt nicht mehr hören. »Der Gerichtsmediziner hat einen Blutalkoholpegel von zweieinhalb Promille ermittelt.«
    »Sicher, in Ordnung, ich war angetrunken«, sagte der Mann.
    »Aber das war nicht das Problem. Das Problem war diese Siebzehnjährige, die auf meiner Spur einen Joyride gemacht hat!«
    »Du warst auf ihrer Spur«, sagte Jaime. »Es gibt einen Polizeibericht, in dem’s steht. Wer dich umgebracht hat? Der Idiot, der sich ans Steuer von seinem Cabrio gesetzt hat, obwohl er so betrunken war, dass er nicht mal mehr den Gurt anlegen konnte. Dieses Mädchen, in das du da reingefahren bist die wird zeit ihres Lebens mit Beinschienen gehen. Und du verlangst von mir, ich soll dir helfen, dich an ihr zu rächen?«
    Ich drehte mich mit schmalen Augen zu dem Mann um. Er fing meinen Blick auf und tat einen langsamen Schritt rückwärts; dann drehte er sich um und stelzte davon.
    »Glaub bloß nicht, dass es vorbei ist!«, rief er über die Schulter zurück. »Ich komme wieder. Und beim nächsten Mal wirst du diese Geisterschlampe nicht als Leibwächter dabeihaben.«
    »Du willst, dass ich dir helfe, Eve?«, sagte Jaime. »Sorg dafür, dass er nicht wiederkommt. Überhaupt nicht mehr.«
    Ich lächelte. »Mit Vergnügen.«

    Massachusetts 1892
    D ie Nixe sog die Luft ein. Es roch nach Pferden, Menschen und dem Schweiß und Kot von beiden. Daran hatte sich nichts geändert. Sie stand an einer Straßenkreuzung, breit genug, dass vier oder fünf Zweisitzer nebeneinander hätten fahren können. Metallene Schienen waren ins Straßenpflaster eingebettet, und ein seltsamer, pferdeloser Wagen glitt auf ihnen entlang. Hölzerne Masten säumten die Straße, und Drähte waren von Mast zu Mast gespannt; sie kreuzten sich über den Reihen von Ziegelbauten, drei, vier, sogar fünf Stockwerke hoch.
    Die lebhaften Marktplätze, die engen gepflasterten Straßen, die hübschen kleinen Läden, an die sie sich erinnerte, waren verschwunden. Als sie das letzte Mal auf der Erde gewandelt war, hatte diese Neue Welt aus nichts anderem bestanden als ein paar trostlosen Siedlungen auf einem wilden Kontinent, einem Ort, an den man Mörder und Diebe verbannte.
    Die Nixe ließ die Schultern kreisen, drehte den Hals und versuchte sich an diese neue Gestalt zu gewöhnen. In all den Jahren, in denen sie in MarieMadeline gewohnt hatte, hatte sie sich nie ganz an den Gestank gewöhnen können, den Schmerz und die Mühsal

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