Nacht der Geister
Partnerinnen zu holen, den Partnerinnen ihren Willen aufzuzwingen, sie dazu zu bringen, seine visionären Ideen in die Tat umzusetzen. Wäre es ihnen gelungen, dann, das wusste die Nixe, hätte sie eine Emotion kennengelernt, die sie nie zuvor erfahren hatte: die Glückseligkeit vollkommener Befriedigung.
Wenn sie ihn nur nicht verraten hätte.
Sie verriet alle ihre Partner irgendwann, um der letzten Genugtuung willen, sie fallen zu sehen. Sie hatte sich gesagt, das sei der Grund gewesen, weshalb sie sich gegen Dachev gewandt hatte, sie sei so daran gewöhnt gewesen, dass sie gehandelt hatte, ohne nachzudenken. Die Wahrheit war jedoch noch weniger verzeihlich. Sie hatte Dachev verraten, weil sie eine weitere Emotion verspürt hatte, die sie noch nicht kannte: Furcht.
Als sie gerade in einer Partnerin steckte, war ein Engel gekommen und hatte Dachev gesucht derselbe, der ihre Seele aus dem Körper der Marquise gezogen und in die Hölle gebracht hatte. Sie hatte ihn erkannt, aber als Dachev den Engel sah wie ein Mensch gekleidet, wie ein Mensch im Verhalten , hatte er ihn für ein körperliches Wesen gehalten. Sie hätte ihn warnen können. Sie hätte nichts weiter zu tun brauchen, als aus ihrer Partnerin zu fahren. Aber dabei hätte sie sich selbst dem Engel zu erkennen gegeben. Die Furcht hatte sie gelähmt, und sie hatte Dachev seinem Schicksal überlassen.
Seither hatte sie Zeit gehabt, ihre Feigheit zu bereuen. Fünfzehn Jahre, in denen sie Partnerinnen gefunden hatte, die zwar zweckdienlich waren, aber weiter nichts, niemanden, der Agnes oder Jolynn oder Lizzie gleichkam, ganz sicher niemanden wie Andrei Dachev.
Die Tür des Pubs öffnete sich, und ein Junge kam herein. Als er zu einem Tisch hinüberlief, um seinem Vater etwas auszurichten, schoss sein Blick durch den Raum, um jedes Detail dieses verbotenen Ortes in sich aufzunehmen. Eine junge blonde Frau an der gegenüberliegenden Wand beobachtete ihn dabei.
Nicht weiter ungewöhnlich alle Welt hatte den Kopf gedreht, um das Kind anzusehen, es war die ganz gewöhnliche Neugier der Gelangweilten. Doch die Art, wie diese Frau den Jungen ansah, erregte die Aufmerksamkeit der Nixe. Das Funkeln in ihren Augen, nicht einfach der Hunger eines perversen Menschen, der nach Kindern giert, sondern das echte Vergnügen des Beutegreifers.
Die Frau sagte etwas zu dem Mann an ihrem Tisch, einem jungen Mann mit schlaff herabhängendem Haar. Sein Blick glitt zu dem Jungen hin, und er lächelte, während ein trüberer Funke auch in seinen Augen aufleuchtete. Noch ein Beutegreifer, aber zugleich ein Gefolgsmann, ein williger Schüler. Die Frau war die Anführerin. Wie interessant.
Die Nixe glitt von ihrem Stuhl und ging näher an die beiden heran. Sie zögerte; ihr graute vor der Welle der Enttäuschung, die ihr bevorstand, wenn sie sich geirrt hatte. Endlich fing sie den Blick der jungen Frau auf. Und nach einem einzigen kurzen Blick in ihren Geist wusste die Nixe, dass das Blatt sich gewendet hatte.
23
U nter Deck angekommen, taten wir das, was wir im vergangenen Jahr fast jeden Abend getan hatten wir saßen zusammen und redeten. Man sollte meinen, uns wären schon vor Monaten die Themen ausgegangen, aber es schien immer wieder etwas Neues zu besprechen zu geben ein Thema, eine Ansicht, irgendeine Wendung, der wir noch nicht nachgegangen waren.
An diesem Abend erzählte Kristof eine lange Geschichte über ein Werwolfsrudel, mit dem er in Russland zu tun gehabt hatte, und ich hörte zu, die Beine hochgezogen und den Kopf auf den Armen, während das sanfte Schaukeln des Bootes mich in den Schlaf zu wiegen versuchte. Aber ich widerstand. Natürlich war ich müde, und ich hätte Kris bitten können, mir die Geschichte bei einer anderen Gelegenheit zu erzählen. Aber ich wollte einfach nur dasitzen und ihm zuhören, die Bewegungen seiner Hände und Augen verfolgen und das Ansteigen und Abfallen seiner Stimme.
Es gab eine Zeit, in der hätte ich alles gegeben, um einer von Kristofs Geschichten zuhören zu können. Wie viele Nächte hatte ich wach gelegen und daran gedacht, wie gut es wäre, seine Stimme zu hören? Wie oft hatte ich erwogen, zum Telefon zu greifen und ihm von Savannah zu erzählen? Am Morgen war ich regelmäßig entsetzt gewesen, entsetzt darüber, dass ich beinahe meine Tochter als Entschuldigung verwendet hätte, um mir etwas zu verschaffen, das ich selbst mir wünschte. Jetzt konnte ich es genießen, ohne Scham und Schuldgefühle. Also blieb ich wach,
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