Nacht der Hexen
Gegenstand von der Größe eines Autos bewegen konnte, obwohl mit wachsendem Gewicht Präzision, Entfernung und Geschwindigkeit nachließen. Ein geparktes Auto konnten Volos vielleicht einen halben Meter verschieben. Einen Gegenstand von der Größe eines Buchs dagegen konnten sie mit genug Kraft durch einen Raum schleudern, um jemanden zu enthaupten. Und sie brauchten das, was sie bewegten, nicht einmal zu sehen. Wenn sie sich ein in der Nähe gelegenes Zimmer in Gedanken vorstellen konnten, konnten sie auch Gegenstände darin bewegen.
Warum hatte Leah mich nicht umgebracht? Ich weiß es nicht. Vielleicht gestattete die Kabale es nicht. Cortez hatte gesagt, sie zögen legale Methoden vor, um Meinungsverschiedenheiten beizulegen, weil dies die Gefahr der Entdeckung verringerte. Also hofften sie vermutlich, Savannah in einem Rechtsstreit zugesprochen zu bekommen; das bedeutete aber nicht, dass sie Leah nicht von der Leine lassen würden, wenn dies fehlschlug.
So beunruhigend Roberts Bericht war, es stand nicht viel darin,mit dem ich nach meinen Erfahrungen mit Leah im Verlauf der letzten Tage nicht gerechnet hätte. Aber er lieferte mir zwei kleine Details, die mich etwas optimistischer machten, zwei mögliche Methoden, mit Leah fertig zu werden. Nein, keine Kreuze und auch kein Weihwasser; diese Dinge gehören ins Reich der Fabel.
Erstens legte Roberts Bericht nahe, dass bei Volos anders als bei den Exustio-Halbdämonen, zu denen Adam gehörte, die Kräfte abstürzten, wenn sie die Beherrschung verloren. Wenn man sie hinreichend aus der Fassung brachte, konnten sie sich nicht mehr konzentrieren. Eigentlich ein ganz gewöhnlicher psychologischer Vorgang.
Zweitens hatten alle Volos eine Art Tic – einen äußerlichen Hinweis darauf, dass ein Angriff bevorstand. Es konnte etwas so Unauffälliges sein wie ein Zwinkern oder etwas so Unübersehbares wie Nasenbluten, aber irgendetwas taten sie alle, bevor sie zuschlugen. Natürlich bedeutete das auch, dass man sie ein paar Mal provozieren musste, bevor man heraus-finden konnte, was es war.
Beim Aufwachen zwang ich mich dazu, einen Blick durch den Spalt zwischen den Wohnzimmervorhängen zu werfen. Die Straße war leer. Puh. Ich duschte und zog mich an, dann weckte ich Savannah. Nach dem Frühstück rief ich in ihrer Schule an, um mitzuteilen, dass sie auch heute nicht kommen konnte, dass wir aber später vorbeikommen würden, um ihre Hausaufgaben abzuholen.
Dann machte ich mich an den nächsten Anruf. Er nahm beim dritten Klingeln ab. »Lucas Cortez.«
»Ich bin’s – Paige. Ich glaube …« Ich schluckte und versuchte es noch einmal. »Ich würde es gern probieren. Ich möchte Sie anheuern.«
»Es freut mich, das zu hören.« Sein Handy begann zu sirren, als sei er unterwegs. »Darf ich vorschlagen, dass wir uns heute Vormittag noch treffen? Ich würde gern so bald wie möglich einen konkreten Plan formulieren.«
»Natürlich. Wollen Sie herkommen?«
»Wenn Ihnen dies nicht unangenehm ist – es würde uns fraglos eine gewisse Arbeitsruhe sichern.«
»Das ist in Ordnung.«
»Sagen wir … halb elf?«
Ich stimmte zu und verabschiedete mich. Als ich auflegte, ging eine Welle der Erleichterung über mich hinweg. Es würde alles in Ordnung kommen. Ich hatte das Richtige getan. Dessen war ich mir sicher.
Um halb zehn saßen wir beide über unserer Arbeit, ich in meinem Büro und Savannah am Küchentisch. Um drei viertel zehn gab ich die Hoffnung auf, irgendetwas zustande zu bringen, und widmete mich stattdessen meinen E-Mails.
Die Mailbox hatte sich übers Wochenende gefüllt; fünfundneunzig Prozent der Nachrichten stammten von Adressen, die mir nichts sagten. Das hatte man nun davon, wenn man eine eigene Firma hatte und mit E-Mail, Telefonnummer und Fax in den Gelben Seiten stand. Ich erstellte einen neuen Ordner, nannte ihn »Hölle: Woche I«, sah mir die Liste der Mails an, und wenn ich den Absender nicht kannte, schob ich die Nachricht ungelesen in den neuen Ordner. Ich hätte es vorgezogen, sie gleich zu löschen, aber die Vernunft teilte mir mit, dass das ein Fehler gewesen wäre. Wenn irgendein Verrückter in mein Haus einbrach und die Teufelsanbeterin im Schlaf erdolchte, würde die Polizei irgendwo in dem Berg von Elektronikmüll vielleicht immerhin den Namen des Mörders finden.
Das Gleiche tat ich mit den Faxen – ein schneller Blick auf die erste Seite, und wenn ich auf die Worte »Interview« oder »Höllenfeuer« stieß, heftete ich das Ganze
Weitere Kostenlose Bücher