Nacht der Leidenschaft
verwandte Seele. Beide hatten in einer Welt, die ihnen nur wenige Möglichkeiten bot, etwas aus sich gemacht. In früher Jugend hatten sie erfahren, dass man eine Gelegenheit eigenhändig beim Schopf packen musste. Diese Erkenntnis, gepaart mit ein bisschen Glück hier und da, hatte ihnen Erfolg auf dem von ihnen gewählten Weg beschert – dem Verlagswesen und der Prostitution.
Obwohl Gemma als Straßenmädchen angefangen – zweifellos mit Erfolg –, hatte sie sehr schnell begriffen, dass ihr wie jeder Prostituierten Krankheit, Misshandlung und vorzeitiges Altern drohten. Sie hatte sich einen Beschützer mit ausreichend Geld gesucht, der ihr den Kauf eines kleinen Hauses finanziert hatte, das sie im Lauf der Jahre zu dem erfolgreichsten Bordell Londons gemacht hatte.
Gemmas Haus wurde intelligent und erstklassig geführt. Sie hatte ihre Mädchen sorgfältig ausgewählt und ausgebildet und dafür gesorgt, dass sie wie Luxusartikel behandelt wurden. Sie bot ihrer Kundschaft beste Qualität zu astronomischen Preisen, und es mangelte nicht an Londoner Herren, die bereitwillig für die erwiesenen Dienste zahlten.
Obwohl Jack die Schönheit der Mädchen schätzte, die in dem hübschen Backsteinhaus mit den sechs weißen Säulen an der Vorderfront, den eleganten Salons und Schlafzimmern arbeiteten, hatte er niemals von Gemmas Angebot Gebrauch gemacht, kostenlos eine Nacht mit einem ihrer Mädchen zu verbringen. Es reizte ihn nicht, mit einer Frau zu schlafen, die für Geld zu haben war. Er zog es vor, die Gunst einer Frau zu gewinnen, indem er seinen Charme und seine Verführungskunst einsetzte. Vor allem aber liebte er die Herausforderung.
Vor ungefähr zwei Jahren war Jack an Mrs. Bradshaw mit dem Vorschlag herangetreten, ein Buch über sich und ihre bewegte Vergangenheit zu schreiben – und über die Eskapaden, die sich in ihrem Freudenhaus zugetragen hatten. Gemma hatte Gefallen daran gefunden; vor allem hatte sie förmlich gerochen, dass derartige Veröffentlichungen ihre Einnahmen steigern und ihren Ruf als Londons erfolgreichste Madame festigen würden.
Außerdem war sie mit Recht stolz auf das Erreichte und war Übertreibungen gegenüber nicht abgeneigt.
Jack hatte ihr einen erfahrenen Schriftsteller zur Seite gestellt, der ihre Memoiren mit Witz und pikanten Anspielungen gewürzt hatte. Das Buch hatte Devlins und Gemmas ehrgeizigste Hoffnungen übertroffen, überschwemmte sie mit Geld und Publicity und verhalf Mrs. Bradshaws Etablissement zu internationalem Ruf.
Jack und Gemma Bradshaw waren Freunde geworden und genossen das Privileg, mit schonungsloser Offenheit miteinander umzugehen. In Gemmas Gesellschaft konnte Jack all die gesellschaftlichen Nettigkeiten beiseitelassen, die einen jeden daran hinderten, ehrlich zu den anderen zu sein. Schmunzelnd kam ihm der Gedanke, dass die einzige Frau, mit der er ebenso frei reden konnte wie mit Gemma, Miss Amanda Briars war. Sonderbar, aber beide, die Jungfer und die Madame, besaßen die erfrischende Eigenschaft, kein Blatt vor den Mund zu nehmen.
Obwohl Gemmas Terminkalender mit Verabredungen überfällt war und Jack sie unangemeldet aufgesucht hatte, wurde er sofort in ihre Privaträume geführt. Wie vermutet, hatte Gemma seinen Besuch vorausgesehen. Es amüsierte und störte ihn zugleich, als er sie in anmutiger Pose in ihrem prunkvollen Salon sitzen sah.
Wie der Rest des Hauses war auch der Salon farblich auf ihre Augenfarbe, ihren Teint und ihr Haar abgestimmt.
Die Wände waren mit grünem Brokat bespannt und die vergoldeten Sitzmöbel mit hellem und smaragdfarbenem Samt gepolstert, vor dem das aufgesteckte rote Haar wie eine Flamme leuchtete.
Gemma war eine hoch gewachsene, elegante Frau mit einer wohlproportionierten Figur. Das Gesicht war kantig mit einer ausgeprägten Nase. Sie besaß Stil und Selbstvertrauen, sodass sie oft als schön bezeichnet wurde. Ihre gewinnendste Eigenschaft aber war, dass sie Männer aufrichtig schätzte.
Obwohl die meisten Frauen behaupteten, dass sie Männer mochten und achteten, gab es nur wenige, bei denen dies tatsächlich zutraf. Gemma gehörte entschieden zu den Letzteren. Sie ließ einen Mann spüren, dass er willkommen war, dass seine Fehler eher amüsant als lästig waren … und dass sie keinesfalls den Wunsch hatte, irgendetwas an ihm zu ändern.
„Mein Liebling, ich habe auf dich gewartet“, flötete sie und kam ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen. Jack nahm ihre Hände und sah sie mit einem
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