Nacht der Seelen - Armintrout, J: Nacht der Seelen
auch tun.
Das Buch lag noch da, wo ich es in meiner Panik hingeworfen hatte. Es war auf dem Buchrücken gelandet, die Seiten waren zufällig auf einer Seite aufgeschlagen, die mit dem Titel „Golem“ überschrieben war.
Ich biss mir auf die Lippen. Der Name kam mir irgendwie bekannt vor. Sofort sah ich meinen Vater vor mir, wie er in seinem Arbeitszimmer saß und ich vor seinem Schreibtisch auf dem Boden spielte. Das Zimmer war mit Objekten aus der Psychiatrie dekoriert. Es gab Modelle des menschlichen Gehirns, auf denen mit weißer Farbe die verschiedenen Hirnareale markiert waren, Fläschchen mit Medizin aus Viktorianischer Zeit, sogar weiße Hirnsubstanz und ein Hammer befanden sich unter Glas. Ich erinnerte mich daran, dass ich meinen Vater fragte, was das sei und an die Albträume, die mich nach seiner Antwort verfolgten.
„In früherer Zeit war man der Meinung, dass man das kranke Gehirn eines Patienten heilen konnte, wenn man ihm Verletzungen zufügte.“
„Du meinst, sie haben den schlechten Teil des Gehirns kaputt gemacht?“
„Das hatten sie vor. Aber sie wussten noch nicht genug über das Gehirn und wie es funktioniert. Deshalb konnten sie den kleinen Teil, der nicht gesund war, nicht isolieren. Daher haben sie am Ende mehr Schaden angerichtet als Gutes getan.“
„Aber ich dachte immer, Doktoren dürfen Menschen nicht wehtun. Sie haben doch auf den Hippopotamus geschworen.“
Dann lachte er und nahm mich in den Arm. Er war kein zärtlicher Mann, aber ich erinnerte mich, dass er mich zumindest dieses eine Mal an sich gedrückt hatte.
„ Aber das machen sie jetzt nicht mehr mit Menschen, oder? Sie machen das doch nicht mit Kindern?“
„Nein, das war früher. Aber manchmal überlege ich, ob wir das mit dir machen sollten. Vielleicht sollten wir dir einen Eispickel ins Auge stechen, um dich so gefügig und gehorsam zu machen wie den Golem aus Prag.“
Seine Worte fand ich nicht schlimm, denn die ganze Zeit kitzelte er mich und drückte mir lauter Küsse auf die Wange, sodass ich mich wand und schüttelte.
Doch dann klingelte das Telefon, es war ein Patient, der gerade einen Anfall gehabt hatte, und ich musste leise hinausgehen. Ich fragte meine Mutter, was ein Golem war, aber sie wusste es nicht. Oder sie hatte vielleicht nicht die Zeit, es mir zu erklären. Es gab so viele Fragen, die mir nicht beantwortetet wurden, weil immer gerade ein Patient anrief oder ein Zeitungsredakteur da war, der mit dem „Experten“ sprechen wollte.
Ich legte das Zauberbuch beiseite und ging in das abgedunkelteWohnzimmer, um nach einem Wörterbuch zu suchen. Ich entdeckte eines, und das war ein Wunder, denn Nathan besaß meistens nur Esoterikbücher. Ich fand folgenden Eintrag: „Ein Mann, der mittels kabbalistischer Riten erschaffen wurde; Roboter“, las ich laut vor. Roboter – das waren die Leute, die der Souleater uns auf den Hals gejagt hatte. War es vielleicht der Golem-Zauber, den Dahlia angewendet hatte?
Ihre Handschrift war extrem klein und die Buchstaben dicht aneinander gedrängt. Auch wenn sie die meisten Seiten im Buch mit großer geschwungener Schrift beschrieben hatte, schien auf dieser Seite ihre Schrift in sich selbst zu versinken, so als wollte sie versuchen, die einzelnen Buchstaben voreinander zu verstecken. Die Zutatenliste war im Gegensatz zu anderen Zauberformeln sehr einfach. Ein Klumpen Lehm und ein Tropfen Blut.
Ein wenig verzweifelt sah ich mich im Zimmer um, hier würde ich keinen Lehm finden, so viel war sicher. Aber dann stellte ich fest, dass ich mir tatsächlich vorgenommen hatte, den Zauber auszuführen und bekam eine Gänsehaut.
Was hatte ich vor? Konnte ich wirklich ein Monster erschaffen, das an unserer Seite kämpfen würde? Was würde passieren, wenn ich es nicht kontrollieren konnte? Was, wenn der Zauber nicht funktionierte oder etwas Schreckliches, etwas sehr sehr Schreckliches auf dem Niveau von Die Pfote des Grauens geschehen würde?
Du wirst es nicht herausfinden, wenn du es nicht versuchst. Die verständige Stimme in meinem Kopf versuchte, mich zu beruhigen, und wieder wusste ich nicht, ob es meine eigenen Gedanken waren, oder ob Dahlia mir eine Falle stellen wollte. In meinen Händen vibrierte das Buch. Ich öffnete es an anderer Stelle und starrte auf eine Seite, die offensichtlich das Rezept für einen Liebeszauber enthielt . Das war komplett lächerlich, ich riss die Seite heraus und lachte. Ohne dass ich etwas bewusst getan oder gedacht hätte, brach
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