Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall
nicht leiden.»
Er nickte, trank das Glas leer, warf es an die Wand und verließ das Zimmer. Eva Wolf sprang auf.
«Ich muss nach ihm sehen!», stammelte sie. «Er hält es nicht aus! Er hat ein schlechtes Herz. Ich muss zu ihm …» Sie stolperte über den Teppich, und Baumann fing sie im letzten Moment auf.
«Ich werde Sie zu ihm bringen», murmelte er und führte sie behutsam zur Tür.
«Ja», flüsterte sie. «Ja, bitte. Ich schaffe es nicht allein. Wir schaffen es nicht … Bitte …»
Laura blieb im Wohnzimmer zurück. Die eiserne Kralle hatte inzwischen auch ihren Kopf im Griff, bohrte sich in die Augenhöhlen. Ganz vorsichtig bewegte Laura ihren Nacken, versuchte, die Schultern fallen zu lassen, versuchte zu denken. Etwas war hier falsch, aber sie wusste nicht genau was. Sie musste den Eltern noch ein paar Fragen stellen. Es war gemein, doch es ging nicht anders. Sie brauchte eine ungefähre Vorstellung von diesem Mädchen, ehe sie nach Italien fuhr.
Es dauerte zehn Minuten, bis Baumann mit Carolins Eltern zurückkehrte. Das Gesicht des alten Mannes war starr, seine Augen ein wenig gerötet. Er hatte geweint. Die Mutter nicht. Sie war sehr blass, aber auf eine Weise gefasst, die Lauras Aufmerksamkeit weckte. Als die beiden sich wieder gesetzt hatten, begann Laura sanft zu sprechen.
«Ich werde morgen nach Italien fahren, um den Tod Ihrer Tochter aufzuklären. Aber ehe ich fahre, muss ich Ihnen ein paar Fragen stellen. Ich muss mir ein Bild Ihrer Tochter machen – wie sie war, wie sie lebte. Ich weiß, dass es schwer ist, solche Fragen zu beantworten, wenn man gerade einen Menschen verloren hat. Aber es wird vielleicht helfen, den Schuldigen zu finden.»
Eva Wolf nickte mit geschlossenen Augen. Ihr Mann erhob sich mühsam, ging wieder zur Cognacflasche und goss sich ein neues Glas ein. Laura und Baumann warteten. Plötzlich öffnete Eva Wolf die Augen.
«Sie war eine ganz normale junge Frau. Da gibt es nichts zu erzählen. Sie war fröhlich, genoss ihr Studium und hatte viele Freunde. Bis vor zwei Monaten lebte sie in einer WG in Haidhausen. Es wurde ihr zu teuer, deshalb ist sie wieder zu uns gezogen. Aber hier hatte sie ja auch alle Freiheiten und ihr wunderbares Zimmer.»
Laura nickte leicht. Die Kralle in ihrem Nacken hatte sich ein wenig gelockert.
«Wie war das Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrer Tochter?»
«Gut, wunderbar! Es hätte nicht besser sein können. Wir hatten nie Probleme. Carolin ist unsere einzige Tochter – wir haben spät geheiratet …»
Laura sah, dass der alte Wolf einen großen Schluck Cognac trank, und wandte sich zu ihm. Er nahm die Drehung ihres Körpers wahr, und ehe sie eine Frage stellen konnte, murmelte er: «So war es. Genau wie meine Frau sagt. Carolin war eine wunderbare Tochter … weiß nicht, wie wir ohne sie weiterleben sollen … weiß wirklich nicht.»
«Hatte sie einen festen Freund?»
Eva Wolf schüttelte heftig den Kopf.
«Sie hatte nie einen festen Freund. Sie wollte ihr Studium beenden, ohne Verpflichtungen und ohne feste Bindungen.»
Laura fand, dass die Antwort zu schnell und zu laut kam, deshalb hakte sie nach.
«Aber lockere Freundschaften hatte sie vermutlich – eine hübsche, fröhliche junge Frau …?»
«Sie haben ihr die Bude eingerannt!», stieß Carolins Vater hervor, verschüttete ein paar Tropfen Cognac dabei. «Aber sie hat nie nachgegeben! Dauernd klingelte das Telefon! Aber Carolin hatte ihre Prinzipien!» Plötzlich begann er zu lachen, ein stoßweises, abgehacktes Lachen, das eher einem Schluchzen glich. «Sie hat zu einem von denen gesagt, dass er in einem halben Jahr wieder anrufen könne. In einem halben Jahr! Stellen Sie sich das vor …! Dabei wollte er sie wahrscheinlich am gleichen Abend sehen! In einem halben Jahr …!» Er ließ sich wieder auf das geblümte Sofa fallen und zog die Schultern hoch.
«So war sie …», flüsterte er, «… hat sich einen Dreck um die geschert! In einem halben Jahr …»
«Könnte einer dieser Verehrer wütend auf sie geworden sein?», fragte Baumann. «Ich meine, es ist ja nicht besonders nett, wenn man so abgefertigt wird.»
«Niemand war auf sie wütend, niemand!» Eva Wolfs Stimme klang rau, brüchig. «Alle haben sie nur geliebt! Sie kann nicht ermordet worden sein! Es muss ein Unfall gewesen sein! Ganz sicher war es ein Unfall!»
Laura legte eine Hand auf den Arm der Frau.
«Wir werden es herausfinden. Ich verspreche es Ihnen.»
Es hat keinen Sinn, noch mehr
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