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Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Titel: Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Tauben flogen mit knatternden Flügelschlägen von einem Dach auf.
    Laura nahm den Fahrersitz ein und presste die Lippen fest aufeinander, um ihren jungen Mitarbeiter nicht anzuschreien. Er ließ sich auf den Beifahrersitz fallen, und sie fuhr langsam an, überquerte die Isarbrücke, lenkte den Wagen die sanfte Steigung des Hochufers hinauf und erreichte die Ausfallstraße nach Grünwald. Bleiernes Schweigen.
    Ich sag nichts, dachte Laura. Kein Wort. Aber sie fühlte sich schlecht, empfand eine merkwürdige Kraftlosigkeit in Armen und Beinen, war unfähig, sich auf das Gespräch mit den Eltern des toten Mädchens einzustellen. Das Gespräch war wichtiger als Baumanns Ärger oder ihr eigener. Sie waren beinahe am Ziel. Aber so konnten sie die Sache nicht hinter sich bringen. Beide nicht!
    «Entschuldige.» Peter Baumanns Stimme klang belegt, und Laura zuckte leicht zusammen, hatte nicht erwartet, dass er etwas sagte.
    «Schon gut», murmelte sie.
    «Ich wollte dir nicht noch mehr Stress machen.»
    «Hör bitte auf, ja?»
    Baumann seufzte, beugte sich dann nach vorn und wies auf eine kleine alte Villa in einem schattigen Garten.
    «Das ist es.»
    Laura parkte den Wagen hundert Meter hinter der Einfahrt. Sie wollte sich dem Haus zu Fuß nähern, Zeit gewinnen. Sie stiegen aus, ohne sich anzusehen, streiften hintereinander an dem rostigen Eisenzaun entlang, der von Kletterpflanzen überwuchert wurde. Das Haus lag halb verborgen unter hohen Bäumen. Es hatte zwei Stockwerke und links und rechts ein Türmchen. Der rosarote Anstrich zeigte einen grünen Schimmer, Zeichen von Feuchtigkeit. Eine Kletterrose rankte sich um die Eingangstür. Ansonsten gab es keine Blumen, nur moosigen Rasen und Bäume.
    Carolin Wolfs Eltern sind wahrscheinlich alt, dachte Laura. Es ist der typische Garten alter Leute, die nicht mehr viel tun können. Jetzt geht es ihnen wahrscheinlich noch gut. Doch wenn wir den Garten betreten, werden wir alles zerstören. Laura maß in Gedanken die Schritte ab, die sie von dem Augenblick der Verzweiflung trennten, blieb vor der eisernen Pforte stehen, denn ihre Beine verweigerten den Dienst, als wollten sie ihr sagen, dass es nicht rechtens sei, Menschen unglücklich zu machen. Wie oft hatte Laura diese letzten Schritte getan, um Menschen einen furchtbaren Schicksalsschlag beizubringen? Zwanzig-, dreißig-, vierzigmal? Sie wusste es nicht. Wusste nur, dass sie sich nie daran gewöhnen würde. Nie eine Routineangelegenheit daraus würde machen können.
    «Bringen wir’s hinter uns!», sagte Baumann, so dicht neben ihr, dass sie ein wenig zurückwich.
    Diese Dinge kann man niemals hinter sich bringen, dachte Laura, sie folgen einem – zäh, anhänglich, bis in die Träume, man nimmt sie mit, wohin man auch geht, und sie werden Teil des eigenen Lebens.
    Zögernd drückte sie auf den Klingelknopf neben der Gartenpforte, lauschte dem sanften Glockenton nach, den sie im Haus ausgelöst hatte, hoffte ein paar Sekunden lang, dass niemand zu Hause sein möge, obwohl sie wusste, dass so ein Aufschub weder ihr noch den Eltern nützen würde.
    «Ja, wer ist da?» Es war eine Männerstimme, die aus der Sprechanlage tönte.
    «Grüß Gott. Mein Name ist Laura Gottberg. Ich bin Polizeibeamtin und möchte mit Ihnen sprechen.» Laura atmete ruhig, nur ihr Herz schlug ein bisschen zu schnell.
    «Was … wieso Polizei …?» Die Stimme brach ab. Es knisterte in der Sprechanlage, dann summte der Türöffner. Zum ersten Mal seit zehn Minuten warf Laura ihrem Kollegen einen Blick zu. Baumann verzog ein wenig das Gesicht und fasste verlegen mit der rechten Hand an seinen Hinterkopf.
    «Geht’s?», fragte er leise.
    Laura nickte und schob die Pforte auf. Nebeneinander gingen sie zu der schmalen Treppe, an deren Ende jetzt ein älterer Mann auftauchte und auf sie herabsah. Er trug einen hellblauen Pullover mit V-Ausschnitt und blaue Hosen, sein weißes Haar hatte einen gelblichen Schimmer, eine letzte Erinnerung an das Blond, das die ursprüngliche Farbe gewesen sein mochte.
    Vielleicht ist er der Großvater, dachte Laura erschrocken. Das würde die Sache noch schlimmer machen.
    «Warten Sie!», sagte der Mann und stützte sich mit einer Hand auf das Geländer. «Sie sehen nicht aus wie jemand von der Polizei. Zeigen Sie mir Ihren Ausweis!»
    Laura griff in die Innentasche ihrer Lederjacke und reichte das Plastikkärtchen nach oben. Der alte Mann untersuchte es genau, umschloss es endlich mit seiner Hand, als wollte er es nie

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