Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall
Frauen …»
«Seit zwei Jahren?», fragte Laura. «Hat er sich in diesen zwei Jahren irgendwie verändert?»
«Ich kann Ihnen über den Inhalt von Therapien keine Auskunft geben», antwortete Katharina abweisend.
«Hat er eine Beziehung zu Rosa Perl?»
«Das weiß ich nicht. Manchmal sieht es so aus. Vielleicht will er nur eine Beschützerrolle übernehmen. Das bringt auch eine Menge Befriedigung.» Katharina lachte kurz auf.
«Und die anderen Frauen, Britta Wieland, Monika Raab, Susanne Fischer?»
Katharina zögerte einen Augenblick.
«Nein, ich glaube nicht, dass er sie kannte.»
«Und dieser Hubertus Hohenstein?»
«Ist meiner Ansicht nach ein völlig unbeschriebenes Blatt – in jeder Beziehung.»
«Was heißt das?»
«Er … kommt mir vor, als bestaune er das Leben. Als hätte er bisher in einer Art schalltotem Raum gelebt. Wie ein Mönch etwa. Das trifft es vielleicht am besten.»
«Wissen Sie etwas über ihn?»
«Seinen Namen, was er in den Gruppensitzungen zeigt … mehr nicht. Er verrät nicht einmal seinen Beruf.»
«Und was haben Sie für einen Eindruck von ihm?»
«Er ist ein feiner, beinahe nobler Mensch, wenn Sie verstehen, was ich damit sagen will.»
«Gut. Und diese Susanne Fischer? Ich hatte den Eindruck, dass sie sich von der Gruppe distanziert. Was ist mit ihr?»
Katharina seufzte und machte eine ungeduldige Handbewegung.
«Ich weiß es nicht. Sie ist tatsächlich sehr distanziert. Beobachtet, lässt nichts raus. Es ist fast unmöglich, mit ihr zu arbeiten. Sie ist anwesend, aber auch wieder nicht. Sie macht Kommentare, die manche in der Gruppe verletzen. Ihre Kommentare sind allerdings meistens richtig. Im Grunde spielt sie sich wie eine zweite Therapeutin auf. Ich habe sie schon mehrmals zurechtgewiesen. Sie ist ziemlich anstrengend.»
Laura wandte sich um. Die Abbadia war nicht mehr zu sehen. Zypressen und Pinien warfen schwarze Schatten auf den sandigen Weg, schwache Schatten, denn der Mond war noch nicht aufgegangen.
«Ich bin müde», sagte Katharina. «Geben Sie mir noch eine Nacht zum Nachdenken. Vielleicht weiß ich morgen mehr.»
«Nur noch eins … erzählen Sie mir ein wenig von Carolin Wolf. Ich habe ihre Eltern gesprochen, ihr Zimmer gesehen, ihr Foto und ihre Leiche. Aber eigentlich weiß ich noch immer nichts über die junge Frau …»
Katharina lehnte sich gegen den Stamm einer Schirmpinie.
«Sie ist tot. Und trotzdem hat sie ein Recht auf Schutz. Doch vielleicht entbindet mich ihr Tod von der Schweigepflicht als Therapeutin …»
«Sie müssen mir keine intimen Einzelheiten erzählen. Einfach nur den Eindruck, den Sie von ihr hatten. Was für ein Mensch war Carolin Wolf?»
Katharina antwortete lange Zeit nicht, schaute zu den schwarzen Ästen der Pinie hinauf, als hätte sie die Kommissarin vergessen. Laura wartete, spürte bleierne Müdigkeit in ihren Gliedern, roch den Duft der Pinien, hörte das leise Knistern der Rinde, die sich im kühlen Abendwind zusammenzog, und hätte sich am liebsten auf die Erde gelegt, um auszuruhen. Endlich begann Katharina zu sprechen, stockend suchte sie nach Worten.
«Carolin war … unklar. Ja, vielleicht ist es das richtige Wort. Sie hatte eine gewaltige Verwirrenergie … Können Sie sich darunter etwas vorstellen? Ein Mensch, der ständig andere Vorstellungen von sich selbst hat, einmal fröhlich, dann deprimiert, dann gelassen. Sie war gierig, auf erschreckende Weise gierig nach Bestätigung, nach einem Beweis für ihre Lebendigkeit, für ihre Existenz. Und sie war aggressiv. Sie hat gegen mich gekämpft. Jede Art von Intervention war ihr zu viel … Jetzt wird mir klar, dass es nicht nur Berger war, der eine Beziehung mit ihr wollte. Sie war es auch. Sie war gierig nach männlicher Bestätigung. Vielleicht hätte sie sogar etwas mit dem sanften Hubertus angefangen, wenn der nicht so weltfremd wäre … Sie war … unbeherrschbar. Sehr stark. Eine Frau, die jedes Risiko eingeht … Ihr Tod hat für mich etwas Folgerichtiges … Mein Gott … ich habe ihr diesen Tod bestimmt nicht gewünscht … aber er passt zu ihr … Es ist … ich kann es nicht anders ausdrücken … es ist nicht absolut erstaunlich. Es ist so radikal wie sie selbst.»
Laura versuchte Katharinas Worte mit dem roten Zimmer in Verbindung zu bringen, mit den Eltern, die ein ganz anderes Bild von ihrer Tochter gezeichnet hatten. Sie dachte an Baumanns Worte, seine Mutmaßungen, dass Carolin Drogen nahm, dealte oder auf den Strich
Weitere Kostenlose Bücher