Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall
Schmetterlinge flatterten von flachen Pfützen auf, Libellen flogen vor ihr her, immer ein paar Meter, ließen sich auf dem feuchten Sand nieder, schreckten wieder auf, wenn sie sich näherte. Unvermutet fand sie sich vor der Wurzelhöhle, in der Carolin Wolfs Leiche gefunden worden war, betrachtete aufmerksam die Umgebung, drehte sich einmal um die eigene Achse. Gegenüber der Höhle lag eine trockene Sandbank. Ein wunderbarer Platz, eingehüllt von tief reichenden dichten Zweigen, wie ein Baldachin. Die Steine, die Carolin Wolf offensichtlich zum Verhängnis geworden waren, ragten weiter links aus dem Bachbett.
Langsam ging Laura zur Sandbank, betrachtete aufmerksam den Boden, ließ sich auf die Knie nieder. Der Sand unter ihren Händen fühlte sich trocken und weich an. Sie war sicher, die Liebeslaube von Carolin Wolf und Rolf Berger entdeckt zu haben. Suchend blickte sie sich nach einem Stock um, brach einen Ast ab und begann im Sand zu graben, fand nach wenigen Minuten das erste Kondom, gleich daneben zwei weitere, klägliche Überreste heimlicher Umarmungen. Sie bedeckte ihren Fund wieder mit Sand. Jetzt war klar, warum Doktor Granelli nichts feststellen konnte.
Als Laura sich wieder aufrichtete, fiel ihr Blick auf einen schmalen länglichen Gegenstand, der am Rand der Sandbank lag. Sie bückte sich und hob vorsichtig den Bügel einer Sonnenbrille auf. Wunderte sich, dass die Spurensicherung ihn übersehen hatte. Aber vielleicht hatte er noch nicht hier gelegen, als die italienischen Kollegen den Tatort untersucht hatten. Laura steckte den Bügel in die Brusttasche ihrer Bluse und lauschte. Etwas raschelte im Gebüsch, Zweige knackten. Blitzschnell duckte Laura sich unter den Stamm eines überhängenden Baumes. Das Rascheln wurde lauter, dann erkannte sie die Umrisse eines Mannes. Er ging gebückt, starrte offensichtlich auf den Boden, als suche er etwas. Laura drückte sich eng an den Stamm, tastete instinktiv nach der Waffe in ihrem Schulterhalfter … aber da war keine Waffe.
Als der Mann näher kam, erkannte sie Giuseppe Ranas Bruder. Ein paar Minuten lang suchte er die Höhle und das Bachbett ab, dann seufzte er schwer und verschwand wieder im Gebüsch. Laura wartete, bis seine Schritte verklungen waren. Ihr Herz klopfte. Sie war froh, dass er sie nicht entdeckt hatte. Aber was machte er hier? Suchte er nach einem Beweis für die Unschuld seines Bruders? Oder hatte er selbst etwas verloren, war vielleicht er der Mörder, einer, an den bisher niemand gedacht hatte? Ein unbeachteter Moskito?
Laura sah auf ihre Armbanduhr. Beinahe sechs. Vielleicht wartete Guerrini bereits auf sie. Schnell kletterte sie die Böschung hinauf und war froh, als sie wieder auf offenem Feld in der Sonne stand. Sie fragte sich, ob Rolf Berger und Carolin Wolf geahnt hatten, dass ihre Liebeslaube kein so sicherer Ort war.
« N ein», sagte Guerrini. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass Giuseppes Bruder in die Sache verwickelt ist.» Er saß Laura gegenüber in der Osteria, in der sie bereits gestern gelandet waren. Diesmal hatte sich die dicke Köchin mit weißer Schürze bereit erklärt, Crostini zu servieren. Doch es würde eine Weile dauern.
«Er ist einer der Moskitos, die wir nicht beachtet haben», erwiderte Laura. «Wie ist das mit Ihrem Schutzinstinkt für die Ranas?»
Guerrini umfasste sein Weinglas mit beiden Händen und ließ den roten Inhalt kreisen.
«Die Ranas sind einfache Bauern. Sie können gerade so überleben, mit ein paar Kühen, ein paar Hühnern, Enten und Kaninchen, mit Gemüse aus dem Garten und ein bisschen Wein für den Eigenbedarf. Gemessen am normalen Lebensstandard, sind sie arm.»
«Das macht sie noch nicht zu guten Menschen, oder?»
«Nein», murmelte Guerrini, «und ich weiß, dass gerade auf dem Land die merkwürdigsten Perversionen blühen: Missgunst, Eifersuchtsdramen, Kindesmissbrauch, sexuelle Verfehlungen aller Art … aber ich habe trotzdem das Gefühl, dass diese Familie das Opfer unglücklicher Umstände ist. Ich kann es nicht beweisen, ich bin nur überzeugt davon.» Er trank einen Schluck und lächelte bitter. «Sie sind übrigens nicht die Einzige, die Zweifel an den Ranas hat. Ich war heute Nachmittag beim Untersuchungsrichter und habe ihn gebeten, Giuseppe nach Hause zu entlassen, weil der Verdacht sehr vage sei und der Junge im Gefängnis leide. Er hat es abgelehnt.»
«Warum haben Sie das getan? Ich meine, warum haben Sie den Untersuchungsrichter gebeten, Giuseppe
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