Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall
ging in den Schatten eines Rundbogens. Die Hitze ließ das Blut in ihren Schläfen pochen.
«Warum haben Sie sich zerstritten?», fragte sie.
«Das hat etwas mit der Therapie zu tun. Darüber rede ich nicht! Nur so viel: Katharina ist eine machtbesessene Frau. Alles läuft gut, wenn man diese Macht nicht antastet. Aber wehe dem Klienten, der wirklich anderer Meinung ist und Widerstand leistet!»
«Ich nehme das als Ihre persönliche Meinung!» Laura wischte ein paar Schweißtropfen von der Stirn, sie sehnte sich inständig nach einer kühlen Dusche. Berger ging ihr auf die Nerven. Er hatte plötzlich etwas Schulmeisterliches, Schlaues. Offensichtlich war er bemüht, Misstrauen zwischen ihr und den übrigen Mitgliedern der Gruppe zu säen. Sie hatte den Eindruck, als genieße er plötzlich dieses Verhör, jetzt, da er sich gefangen hatte und einen dumpfen Verdacht auf die gesamte Gruppe lenken konnte. Laura wollte ihn loswerden, doch auf eine Antwort war sie noch neugierig.
«Wie ist Ihr Verhältnis zu Rosa Perl?»
«Was hat das mit Katharina Sternheim zu tun?» Jetzt lächelte er plötzlich sehr charmant und beugte sich in Lauras Richtung. Es klang, als sagte er: Ein bisschen sprunghaft und unkonzentriert, was?
«Nichts!», erwiderte sie kühl. «Es hat etwas mit Rosa Perl zu tun. Sie haben richtig verstanden!»
Berger stand auf und trat nahe an Laura heran. Er war groß, mindestens ein Meter neunzig, und er konnte auf sie herabschauen, obwohl sie nicht gerade klein war. Etwas Schweres, Durchdringendes lag in seinem Blick. Er sah genau in ihre Augen, Laura fühlte sich unbehaglich, als hätte er sie ohne ihre Einwilligung berührt.
«Rosa ist krank», sagte er langsam. «Sie ist sogar sehr krank, und sie fürchtet sich vor dem Tod. Ich steh ihr ein wenig bei. Das ist alles. Rosa hat es verdient!»
V orsichtig betrat Laura Rosa Perls ehemaliges Zimmer. Die Fensterläden waren geschlossen, ließen nur ein paar Sonnenstreifen herein. Ein mächtiger alter Schrank stand an der einen Wand, eine antike Spiegelkommode an der anderen. Das Bett hatte hölzerne Säulen, die fast bis zur Decke reichten – der dazugehörige Baldachin fehlte. Alle Möbel waren dunkelbraun, fast schwarz, die Wände weiß, ohne Bilder. Ein schlichtes Zimmer – eins aus einer anderen Zeit. Laura liebte Zimmer dieser Art, man fand sie nur noch selten. Sie stellte ihren Koffer neben die Tür und ließ sich aufs Bett fallen. Ein paar Minuten blieb sie mit geschlossenen Augen liegen, dachte nichts, lauschte nur dem Gurren der Tauben. Doch dann rappelte sie sich auf, robbte über das breite Bett zu ihrem Rucksack und kramte das Telefon heraus. Auf dem Bauch liegend hörte sie ihre Mailbox ab. Dreimal ihr Vater.
«Bist du da, Laura? – Sag doch was! – Ich muss unbedingt mit dir sprechen! – Ist dir was passiert? – Du kannst doch nicht einfach dein Telefon abschalten!»
Und so ging es immer weiter.
Laura atmete tief durch. Manchmal war es schwer auszuhalten. Der vierte Anruf kam von Baumann und klang nicht wesentlich anders.
«Wo steckst du denn? Trinkst du schon wieder Wein mit einem italienischen Kollegen? Melde dich! Du bist schließlich im Dienst!»
«Madre mia!» , seufzte Laura und las die SMS ihrer Tochter.
«Hallo, Mama, mir geht’s gut. Die Mathe-Schulaufgabe hab ich geschafft. Glaub, dass ich keine Fünf habe. Hast du den Mörder schon gefunden? Papa macht prima Kartoffelbrei. Ich hab dich lieb, Sofia.»
«Ich dich auch», murmelte Laura und legte das kleine Telefon neben sich aufs Bett, stand langsam auf und beschloss zu duschen, ehe sie Baumann anrief. Das Bad lag außerhalb ihres Zimmers am Ende des Gangs, gleich neben dem Zimmer von Berger und Hohenstein. Als sie mit nassen Haaren und nur in ein großes Badelaken gewickelt zu ihrem Zimmer zurückgehen wollte, stieß sie mit Hubertus Hohenstein zusammen, der in diesem Augenblick aus der Tür trat.
«Oh», sagte er und schaute verlegen zu Boden.
«Bin schon weg!», lachte Laura. «Wir sehen uns später!»
«Ja, später», antwortete er undeutlich und wartete mit gesenktem Kopf vor seiner Zimmertür, bis sie verschwunden war.
Ein seltsamer Mann, dachte Laura, während sie ihr Haar trocken rieb. Entweder ist er ein wahrer Gentleman oder ein Mönch in Zivil. Sie schlüpfte in helle Hosen und eine weite dunkle Bluse, setzte sich wieder aufs Bett und wählte Baumanns Nummer.
«Da bist du ja endlich!» Beinahe hätte Laura gefragt, woher er das wisse – aber natürlich
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