Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall
Gesicht und stellte den Teller vor Laura hin. «Warum wollen Sie wissen, ob ich innerlich leer bin?»
«Weil … wir gerade bei dem Thema waren und … weil Sie mich interessieren!»
«Danke!», sagte er und entfaltete seine Papierserviette. «Ich finde, wir sollten dieses Kaninchen nicht warten lassen. Serafina würde uns nie verzeihen, wenn wir es kalt werden ließen.»
L aura saß am Fenster ihres Zimmers und schaute auf den Klosterhof. Es war eine helle warme Nacht, und der Duft der Violen stieg bis zu ihr herauf. Zwei Katzen strichen aneinander vorbei, berührten sich kurz mit den Nasen, huschten weiter, Scherenschnittkatzen. Die Arkadenbögen umschlossen schwarze Höhlen, und Laura kam sich vor wie in einem Gemälde von de Chirico. Fast zwölf Uhr. Vor einer halben Stunde hatte Guerrini sie zur Abbadia zurückgebracht, wortkarg. Die Distanz zwischen ihnen war wieder größer geworden, und Laura grübelte über die Enttäuschung, die sie empfand. Sie wollte keine Affäre! In ihrem Leben gab es keinen Platz dafür! Stimmte das? Beim Abschied hatte Guerrini seine Hand auf ihren Arm gelegt, und dieser sanfte Druck war wie ein Blitz durch ihren Körper gefahren. Wieder! Ein verdammt angenehmes Gefühl. Es hatte sie daran erinnert, dass sie seit langer Zeit einen Teil des Lebens ausklammerte.
Langsam ging sie zur Spiegelkommode und betrachtete sich in dem narbigen Glas, fuhr mit dem Zeigefinger über die feinen Falten, von der Nase zum Mund, von den Augenwinkeln über die Jochbeine. Endlich kämmte sie mit den Fingern ihr widerspenstiges Haar, lächelte sich zu. Nicht schlecht für vierundvierzig, aber eben vierundvierzig! Zwei, drei Kilo zu viel, Schatten unter den Augen wegen chronischen Schlafmangels.
Sie schüttelte den Kopf und wollte gerade das Licht löschen, als ihr der abgebrochene Bügel der Sonnenbrille wieder einfiel, den sie am Nachmittag gefunden hatte. Sie nahm ein Taschentuch, zog ihn vorsichtig aus der Blusentasche und betrachtete ihn von allen Seiten. Sie konnte nicht erkennen, ob er von einer Damen- oder Herrenbrille stammte. Aber es handelte sich um ein ziemlich edles Stück, deutlich war der Name «Armani» auf der Innenseite zu lesen. Einem ersten Impuls folgend wollte sie Guerrini anrufen. Vielleicht hatten die Kriminaltechniker den Rest der Brille gefunden? Außerdem musste der Bügel so schnell wie möglich auf Fingerabdrücke untersucht werden. Dann spürte sie eine plötzliche Scheu, Guerrinis Stimme zu hören, beschloss die Sache auf den nächsten Tag zu verschieben, löschte das Licht und schlief sofort ein.
Laura schlief tief, den Schlaf der Erschöpfung, doch etwas drang in diese Tiefe, etwas Störendes, Lautes. Sie wälzte sich hin und her, erwachte endlich, benommen, wusste ein paar Minuten lang nicht, wo sie war, schaute endlich auf das leuchtende Zifferblatt ihres Weckers. Halb vier Uhr. Sie lauschte in die Dunkelheit hinein, konnte lange das Gedröhn angestrengter Maschinen nicht einordnen. Es klang, als sei eine Armee mit Panzern im Anmarsch, denn in den Maschinenlärm mischten sich einzelne Schüsse. Manchmal sogar ganze Salven.
Laura rollte sich über das breite Bett und taumelte zum Fenster. Doch von hier aus konnte sie nur in den Innenhof schauen. Der Lärm kam von draußen, von den Feldern und Hügeln. Laura presste die Hände an die Stirn, versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Hatte es in Italien einen politischen Umsturz gegeben? War ein Bürgerkrieg ausgebrochen? Sie streifte Jeans und ein T-Shirt über, schlüpfte in ihre Schuhe und ging leise auf den Flur hinaus. Im Haus war alles ruhig. Niemand schien den Lärm zu hören. Laura öffnete die Haustür und trat auf den Hof.
Der Motorenlärm hallte von den Wänden des Klosters wider, doch nirgendwo brannte ein Licht. Vorsichtig schlich sie an der Hauswand entlang, umrundete das Gebäude und stand endlich auf der Klostermauer. Von hier aus konnte sie das Land überblicken, all die Hügel im fahlen Dämmerlicht. Und im nächsten Augenblick erkannte sie die eng zusammenstehenden Augen unzähliger Traktoren, die riesige Pflüge über die harte Erde zogen, die das Land aufrissen wie wütende Ungeheuer. Und sie erinnerte sich, dass Jagdzeit war, dass die Schüsse von den Jägern stammten, die noch vor Morgengrauen durch die Wälder streiften und auf alles schossen, was sich bewegte.
Doch trotz dieser Erklärung für den Aufruhr fühlte sie sich nicht beruhigt, sondern empfand diese Bauernarmee mit ihren
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