Nacht der Versuchung
Recht des Mannes, nicht wahr? Die Polygamie seines Wesens. Der Tiger in der männlichen Brust! Ein Mann ohne Erlebnisse ist ein Schlappschwanz! Nur die Frau muß glockenrein sein, ein Porzellanpüppchen ohne ein Stäubchen.«
»Ich habe Margit bedenkenlos vertraut.«
»Und das konntest du, mein Junge.« Bernhardt beugte sich vor. »Weißt du, was Margit in diesen Jahren durchgemacht hat? Kannst du die seelischen Qualen ermessen, die Tag für Tag über sie hereinstürzten, wenn Pommer mit ihr sprach, wenn er ihr drohte, erpreßte, sich immer neue Rechte anmaßte? Himmel noch mal, warum hat sie dir nichts gesagt? Aus Liebe! Aus Angst, ihr Leben an deiner Seite könnte daran zerbrechen! Sie hat alles erduldet, um die Ehe zu retten. Jetzt sehe ich, daß ihre Angst berechtigt war: Du bist ein sturer Kerl, der einen Moralbegriff zelebriert, an den du selbst nicht glaubst, aber den du hochhalten mußt, weil er zu deiner ›männlichen Würde‹ paßt!« Bernhardt trank das Glas Kognak jetzt in einem Zug leer und hustete mehrmals hinterher. »Du willst dich scheiden lassen?« fragte er. »So verstehe ich doch deine Haltung?«
»Ja, Vater. Was bleibt mir anderes übrig?« Blankers drückte die Stirn gegen die kalte Scheibe. Margit, dachte er. Warum hast du das getan? Warum hast du kein Vertrauen zu mir gehabt? Warum hast du mich Tag für Tag belogen?
»Und Monika Lisa?«
»Das Kind behalte selbstverständlich ich.«
»Selbstverständlich. Alles ist klar wie eine einfache Rechnung. Zwei mal zwei ist vier! Da gibt es nichts dran zu rütteln!« Baurat Bernhardt sprang auf. Nun wirkte er vital und energiegeladen wie immer, während Blankers sichtlich mehr und mehr in sich zerfiel. »Nein, mein lieber Schwiegersohn, so einfach ist das Leben nicht! Glaubst du, ich hätte diesen Pommer erschossen, um Margits Glück völlig zu vernichten? Ich habe es getan, um sie und dich von diesem Pommer zu befreien, damit ihr glücklich leben könnt. Die paar Jahre, die mir bleiben, zählen nicht. Ich habe das Leben hinter mir. Verdammt noch mal, wie ich dich so stehen sehe, wäre es einfacher gewesen, Pommer leben und Margit mit ihm wegfahren zu lassen!«
»Vater!« Blankers fuhr herum. Seine Augen waren starr und rot unterlaufen. »Ich habe mir keine Verfehlungen zuschulden kommen lassen! Ich habe Margit auf den Händen getragen …«
»Hättest du sie auf der Erde gelassen, es wäre besser gewesen. Ich weiß jetzt, wie oft sie angesetzt hat, dir alles zu sagen – aber dann sah sie dich wieder an, hörte irgendeine Bemerkung, wie etwa ›Wenn du mir untreu würdest, ich überlebte es nie!‹, und da schwieg sie eben wieder und verkroch sich in Angst und Panik.«
»Wie willst du das beurteilen können?«
»Sie hat es mir gesagt. Sie hat mich im Gefängnis besucht und alles erzählt. Damals, in diesem Sommer, im Ferienhaus an der Ostsee, hat Pommer sie überrumpelt. Schamlos hat er die Situation ausgenutzt. Eine warme Sommernacht, allein im Haus, man schwimmt zusammen im Meer, Mondschein und süße Worte, und man ist so jung und neugierig und fühlt zum erstenmal, daß man kein kleines Mädchen mehr ist, sondern eine erwachende Frau …«
»Ich bitte dich, hör auf, Vater!« rief Blankers und legte die Hände gegen die Ohren. »Es ist scheußlich, was du sagst!«
»Das Leben ist scheußlich, mein Junge. Es läßt aus Träumen und wenigen schwachen Stunden Höllen entstehen. Für diese eine Nacht, diese eine verdammte Nacht der Versuchung war Margit bereit, ein ganzes Leben zu büßen. Verstehst du überhaupt, begreifst du denn, welch eine Frau du hast? Nicht, weil sie Pommer etwa liebte, hat sie geschwiegen, sondern um dir, dir sturem Hund, nicht weh zu tun!« Bernhardt setzte sich erschöpft. »Ich sehe jetzt ein, daß Margit völlig falsch gedacht hat. Wer nicht verzeihen kann, ist auch nicht wert, selbst geschont zu werden.«
Blankers schwieg. Er hatte die Augen geschlossen und sich wieder zum Fenster gewandt. Stumm saß Polizeipräsident Hochheuser hinter seinem Schreibtisch. Was in den nächsten Minuten geschehen würde, war die zweite Bereinigung eines Irrtums. Aber erst mußte die Privatsache geklärt werden … das, was vor der Tür wartete, war sowieso schon klar genug.
»Weißt du, wie schrecklich es ist, kein Vertrauen mehr zu haben?« fragte Blankers leise.
»Weißt du, wie fürchterlich es ist, Wochen und Monate lang unter Druck zu leben und alles zu tun, um eine Katastrophe abzuwenden? Selbst vor dem Tod scheute
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