Nacht der Versuchung
mein Kind, o niña, niña … was machst du bloß?«
Margit schwieg. Sie wußte darauf selbst keine Antwort. Sie war zutiefst erstaunt, daß sie in einem Krankenbett lag und wußte nicht, was mit ihr geschehen war. Nach dem ersten Erstaunen überwältigte sie ein heißer Schrecken. Mit beiden Händen griff sie nach ihrem Leib.
»Das Kind!« stammelte sie. »Mama … ist etwas mit dem Kind?«
»Gott sei Dank nicht!« Lisa Bernhardt nahm die blassen Hände ihrer Tochter und zog sie an sich. »Hast du denn das Auto nicht gesehen?«
»Welches Auto, Mama?«
»Gegen das du gerannt bist.«
»Ich bin gegen ein Auto gerannt? Wann denn?«
Lisa Bernhardt sah sich um, um Hilfe von den Ärzten zu holen. Aber diese hatten leise das Zimmer verlassen, um Mutter und Tochter allein zu lassen.
»Ja, weißt du denn gar nicht, was passiert ist? O mein Kind, mein armes Kind!« Lisa begann wieder zu weinen. »Wie kommt denn dies alles? Du bist doch nicht verrückt, niña …«
Ich bin vor Pommer weggelaufen. Margit dachte scharf nach. Aus dem Café. Über die Straße. Dann wurde mir wieder schwindlig, und nun liege ich hier. Doch ja, da war noch etwas. Ein Stoß gegen die Brust. War das der Wagen? Bin ich in ein Auto hineingerannt …?
»Nein, Mama …«, sagte sie leise. »Ich bin nicht verrückt. Ich … ich bin nur eine arme Lügnerin …«
Sie streckte sich. Auf einmal war es gar nicht schwer, die Wahrheit zu sagen. Sie hielt die Hände ihrer Mutter umklammert und fühlte, wie diese Hände ihr Kraft gaben, alles zu erzählen. Von damals, dem kleinen Ferienhaus an der Ostseeküste, von der Versuchung der Nacht, der sie erlegen war, von dem Wiedersehen im Hafen, dem Sprung in den Tod, der sie zurückwies …
Lisa Bernhardt beugte sich über Margit und küßte sie auf die Augen.
»Du dummes Kind. Wen hast du belogen?«
»Euch alle. Alle! Versprich mir, daß du nichts Papa sagst … nichts von dem, was ich dir jetzt sage. Du nur darfst es wissen. Nur du, Mama!«
»Ich verspreche es dir, mein Kind.« Lisa Bernhardt hielt die Hände Margits fest. »Und nun mach dein Herz frei, Kleines.«
Und Margit erzählte. Sie verschwieg nichts. Sie entkleidete ihre Seele von allem schmutzigen Ballast.
Lisa Bernhardt hörte die Beichte ihrer Tochter ohne Unterbrechung an. Ihr Gesicht war zwar starr, aber in ihren Augen schimmerten Tränen. Mein armes, armes Engelchen, dachte sie. Warum hattest du kein Vertrauen zu deinen Eltern? Sind wir Scheusale? Hätten wir dich totgeschlagen? Wieviel Leid hättest du dir erspart, wenn du schon damals, als du zurückkamst aus Hellerbrode, uns alles gestanden hättest.
»Nun weißt du alles, Mama«, sagte Margit erschöpft nach der langen Rede. »Nun schimpfe.«
»Warum?« Lisa Bernhardt schüttelte langsam den Kopf. »Was du durchgemacht hast, haben vor dir schon Tausende anderer Mädchen erlebt und werden es nach dir noch Hunderttausende erleben. Die einen nehmen es schwer, wie du, die anderen, die meisten, schütteln es ab wie Hühner ein Sandkorn. Ich frage mich nur: Warum hast du Klaus nicht alles erzählt?«
»Ich habe mich geschämt, Mama. Und außerdem war er so sicher, so stolz darauf, ein unberührtes Mädchen zur Frau zu nehmen.«
»Die Männer sind eben Trottel. Sie wollen ja betrogen werden. Jagen ihr Leben lang den Röcken nach, aber ausgerechnet die Frau, die sie heiraten, soll keusch sein! Ich frage mich oft, ob die Männer nicht rechnen können. Wo sollen denn die vielen unberührten Mädchen herkommen … so, wie sich die Männer vor der Ehe benehmen?«
»Du wirst es Klaus sagen, Mama?« Margit zuckte auf. Lisa Bernhardt schüttelte wieder den Kopf.
»Aber nein. Wie versprochen: Das bleibt unter uns. Aber mit einem anderen werde ich sprechen.«
»Mit Fred Pommer?«
»Ja. Und ich werde ihm zeigen, daß ich noch da bin! An mir wird er sich die Zähne ausbeißen! Ich habe noch vor keinem Mann Angst gehabt … hätte ich sonst deinen Vater geheiratet?«
Margit lachte. Wie einfach das jetzt alles ist, wo Mama alles weiß. Wie leicht das Leben auf einmal wird.
»Ich habe schon als Kind in der Schule gesagt: Mama ist eine Wucht!« Margit lehnte sich wie erlöst zurück. »Und das bist du auch, Mama … eine richtige Wucht.«
*
Weihnachten wollte Klaus Blankers zurückkommen, das hatte er fest versprochen. Er schrieb aus Buenos Aires, wie sehr er schwitze und daß er sich gar nicht vorstellen könne, wie es jetzt in Hamburg schneite und fror.
»Du mußt etwas mehr Farbe
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