Nacht der Versuchung
bekommen«, sagte Hubert Bernhardt zu seiner Tochter. »Am besten fährst du zehn Tage in Urlaub. Was hältst du von der Heide? Das Haus, wo du schon warst, Margit? Ich gebe dir unsere Emma mit als Hilfe, du kannst dich erholen, hast gesunde Luft und kommst aus aller Fragerei heraus. Und Klaus erzählen wir von deiner Autorempelei erst, wenn die Feiertage vorbei sind. Aber dann mußt du wieder dick und rund aussehen.«
Es wurde also beschlossen, in die Heide zu fahren. Emma, seit dreiundzwanzig Jahren dienstbarer Geist im Hause Bernhardt, fuhr mit und kam sich wie um ein Jahrhundert zurückversetzt vor, als sie die Petroleumlampen sah, die alten Torföfen und die mit Feinsand bestreute Tenne. Nur der Propangaskocher in der Küche versöhnte sie etwas und das mächtige Bett mit den dicken, riesigen Federbetten, das in ihrer Kammer stand.
Lisa Bernhardt hatte bisher noch nicht mit Pommer gesprochen. Ich laufe ihm nicht nach, dachte sie. Er wird von selbst kommen. Es ist besser, ich werfe ihn hinaus, als daß er mir die Tür weist. Warten wir ab, wie er auftritt. Er wird wohl kaum lange auf sich warten lassen.
Sie ahnte nicht, daß Pommer in ganz anderer Richtung tätig war. Er hatte eine Menge in diesen Tagen erfahren. Blankers war weit weg in Südamerika. Margit hatte den Unfall ohne große Folgen überstanden, war aber plötzlich verreist. Wohin, das war alles, was Pommer noch an Information fehlte. Aber er erfuhr es nicht, auch nicht vom Gärtner Blankers', dem er fünf Mark für eine Auskunft anbot.
Die letzte Quelle, die man anzapfen konnte, war wieder Ursula Fürst. Und noch einmal zog seine alte Drohung, ihren Vater über das Liebesleben der Tochter aufzuklären. Uschi gab Margits Adresse bekannt: Heidehaus Schüttmoor bei Wulfbüttel.
Pommer fuhr ohne Zögern südwärts. Seit drei Tagen war er wieder ›unabhängig‹ und gut bei Kasse. Er hatte im Kaufhaus eine junge Witwe kennengelernt, die von der Pension ihres an einem Herzinfarkt gestorbenen Mannes, eines Oberamtmannes der Steuer, lebte. Als Anzahlung auf kommende Dienste hatte Fred Pommer erst einmal 500 Mark kassiert und sich eine Nacht lang, nicht ungern, geopfert. Dann täuschte er dringende Geschäfte in München und Nürnberg vor und fuhr in die Heide.
Der große Sprung in eine Lebensstellung sollte gelingen. Der ganz große Sprung, so hoffte Pommer.
In Wulfbüttel gab es erst einmal eine Verzögerung. Das Heidehaus lag im Naturschutzgebiet, kein Auto durfte dorthin fahren. Zu Fuß waren es vier Stunden. Und mit dem Fahrrad durch die Heide zu fahren, das war um diese Jahreszeit nicht gerade bequem. Ein eisiger Wind pfiff über das Land, jetzt am Morgen war alles weiß, mit Rauhreif überzogen. In den nächsten Tagen würde es Schnee geben, meinte der Wirt in Wulfbüttel. Er lag in der Luft, in den grauen, bleiernen Wolken.
Fred Pommer entschloß sich schließlich, doch ein Rad zu mieten und zum einsamen Heidehaus zu fahren. Man muß etwas tun für sein Glück, sagte er sich. Auch zwei Stunden Radfahrt durch kalten Wind werden vergehen. Um so heißer wird's dann im Heidehaus sein. Dort kann sie nicht weglaufen vor mir …
Die Fahrt über holprige Heidewege, immer gegen einen Wind ankämpfend, der ihn bald vom Rad riß, war anstrengender, als er es sich vorgestellt hatte. Nach einer halben Stunde rastete er in einem Kiefernwäldchen, trank drei Schlucke Kognak aus der Taschenflasche, die er vom Wirt in Wulfbüttel mitgenommen hatten, wartete einen kurzen Schneeregen ab und schwang sich dann wieder auf den Sattel.
»Sie können den Weg gar nicht verfehlen«, hatte der Wirt gesagt. »An den Bäumen ist das Wanderzeichen Z. Da fahren Sie nur immer nach.«
Nach einer Stunde stand Pommer ratlos mitten in der Einsamkeit. Weit und breit kein Baum, nur Holunderbüsche, verschneites Kraut, kriechendes Gehölz – und vor ihm eine Weggabelung. Zwei Wege, die irgendwo zwischen Hügeln und Senken weitergingen und sich in der Ferne verloren.
»Mist!« sagte Pommer laut. »Welcher ist es nun?« Er stieg ab, suchte nach dem Wanderzeichen Z und fand es nicht. »Fahren wir links«, sagte er laut. »Links bringt mehr Glück als rechts.«
Über den grauen Himmel jagten tiefhängende, fast schwarze Wolken. Ein starker Wind kam auf und stemmte sich gegen den einsamen Radfahrer. Es war, als habe sich die Natur verschworen, als schützten Wind, Einsamkeit und sandiger Boden das einsame, irgendwo liegende Heidehaus vor diesem Mann, der verbissen in die Pedale
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