Nacht des Flamingos
kein Entrinnen für sie. Ihre Augen weiteten sich entsetzt. Erbarmungslos fuhr er fort: »Joanna war seine Geliebte. Das kann ich beweisen. Wollen Sie jetzt noch behaupten, Sie hätten davon ebenfalls keine Ahnung gehabt?«
Sie sprang auf, und er schleuderte sie mit heftiger Bewegung aufs Bett zurück.
»Los jetzt! Ich will endlich die Wahrheit wissen«, rief er zornig.
Sie warf sich in die Kissen und brach in einen Tränenstrom aus. Ihr ganzer Körper bebte. Miller stand vor dem Bett und blickte auf sie nieder. Eine Spur von Mitleid spiegelte sich in seinen Augen. Dann durchquerte er rasch das Zimmer und ging in die kleine Kochnische. In einem der Schränke entdeckte er eine angebrochene Flasche Gin. Er goß einen kräftigen Schluck in ein Glas und eilte zurück ins Zimmer.
Er setzte sich auf den Bettrand, und sie wandte ihm das tränenüberströmte Gesicht zu.
»Er bringt mich um. Bestimmt – er bringt mich um.«
»Niemand wird Sie umbringen.« Miller streckte ihr das Glas hin. »Trinken Sie das. Sie werden sich gleich wohler fühlen.«
Sie richtete sich auf.
»Sie wissen ja gar nicht, was er für ein Mensch ist.«
»Max Vernon?«
Sie nickte und trank einen Schluck Gin.
»Er ist ein Teufel in Menschengestalt – ein Teufel. Grausam und arrogant. Was er haben will, das nimmt er sich einfach.«
»Und das traf auch auf Joanna Craig zu?«
Sie starrte ihn erstaunt an.
»Woher wissen Sie das?«
»Reine Vermutung. Aber erzählen Sie mir mehr darüber. Erzählen Sie mir alles, was geschehen ist.«
»Also gut.« Sie schwang die Beine vom Bett und stand auf. Rastlos wanderte sie in dem kleinen Zimmer auf und ab, während sie sprach. »Sie hatten recht. Joanna und ich besuchten dieselben Kurse auf der Kunstakademie. Ich lernte sie kurz nach der Einschreibung bei Semesterbeginn kennen. Wir waren allerdings nicht sehr eng befreundet. Ich hab' schon immer gern mein Leben genossen. Joanna hat sich mehr für ihre Arbeit interessiert.«
»Hatte sie Freunde?«
»Sie meinen männliche Bekannte? Nein, das interessierte sie überhaupt nicht. Ich weiß, es klingt verrückt, aber sie hatte irgend etwas Fremdes an sich. Sie war vom Leben ganz unberührt, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Ich glaube, ich verstehe.«
»Damit will ich gar nicht sagen, daß sie sonderbar war oder verschroben. Jeder hatte sie gern. Sie war das netteste Mädchen, das ich je gekannt habe. Und jeder hatte Achtung vor ihr, besonders die Männer. Und bei Kunststudenten will das etwas heißen, das können Sie mir glauben.«
»Und dann veränderte sie sich vollkommen«, sagte Miller. »Sie war wie verwandelt. Woher kam das?«
»Sie lernte Max Vernon kennen.«
»Ich hätte nicht gedacht, daß er ihr Typ ist.«
»Das war er auch nicht – und damit fing der ganze Kummer überhaupt erst an.« Sie spülte den restlichen Gin hinunter und ließ sich neben Miller auf dem Bettrand nieder. »Ich meldete mich auf eine Anzeige, die der ›Flamingo Club‹ aufgegeben hatte. Man suchte weibliche Croupiers. Ich habe Ihnen neulich schon erzählt, wie gut die Bezahlung ist. Die Versuchung war so groß, daß ich mein Studium aufgab und die Stellung im ›Flamingo Club‹ annahm. Man ließ dauernd tolle Partys steigen und hatte gar nichts dagegen, wenn wir unsere Freunde mitbrachten.«
»Und Sie nahmen also Joanna zu einer solchen Party mit?«
»Ja. Das war vor ungefähr vier Monaten. Sie ist mir eines Nachmittags ganz zufällig in die Arme gelaufen. Am selben Abend sollte eine Party stattfinden. Aus einem Impuls heraus fragte ich, ob sie Lust hätte mitzukommen. Ich hätte nie erwartet, daß sie zusagen würde. Doch sie nahm tatsächlich an.«
»Und was geschah dann?«
»Max war ganz hingerissen von ihr. Ich weiß nicht, woran das lag – vielleicht faszinierte ihn ihre Kindlichkeit. Sie war natürlich ganz anders als die Mädchen, die sonst da herumschwirren.«
»Wie reagierte sie?«
»Sie ließ ihn abblitzen. Er zog sämtliche Register, das können Sie mir glauben. Aber er kam bei ihr nicht an. Und später kippte Joanna plötzlich um. Ich dachte, sie hätte vielleicht zuviel getrunken. Max kümmerte sich sofort um sie. Er sagte, sie könnte im Klub übernachten und ihren Schwips ausschlafen.«
»Und Sie ließen sie dort?«
»Was hätte ich denn tun sollen? Mir blieb gar nichts anderes übrig.« Sie stand wieder auf und ging zum Fenster. »Am nächsten Tag rief sie mich an und bat mich,
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