Nacht des Flamingos
hinunterblickte, sah er einen Mann in einem schwarzen Trainingsanzug, der auf der Aschenbahn seine Runden zog. Dicht auf seinen Fersen folgte Fritz, der Airedaleterrier. Roger und Tommy sprangen auf der Rasenfläche in der Mitte der Bahn herum und versuchten erfolglos, den Hund zurückzurufen.
Als Miller endlich am Fuß des Abhangs anlangte, hatte der morgendliche Läufer Fritz fest am Halsband und führte ihn zu den beiden Jungen. Sie standen in einer kleinen Gruppe beisammen, und Miller hörte schallendes Gelächter.
»Entschuldigen Sie«, rief er, als er näher kam.
Der Mann im Trainingsanzug drehte sich um und lachte. Es war Duncan Craig.
»Das ist wirklich eine Überraschung«, stellte Miller fest. »Sie sind aber schon früh auf den Beinen.«
»Der Morgen ist die angenehmste Tageszeit. Außerdem will ich in Form bleiben.« Er fuhr Roger durch das kurze Haar. »Sind das Ihre Sprößlinge?«
»Das sind meine Neffen«, erwiderte Miller. »Die Geißeln Gottes. Roger und Tommy. Kinder, das ist Colonel Craig.«
Die Jungen waren ungeheuer beeindruckt.
»Waren Sie im Krieg?« fragte Roger.
Craig lächelte. »Ja.«
»Haben Sie ein Himmelfahrtskommando geführt?«
»Nein, so romantisch ist es bei mir nicht zugegangen.«
Die Jungen machten enttäuschte Gesichter.
Miller legte Fritz die Leine an.
»Glaubt's ihm nicht«, sagte er. »Colonel Craig hat viel aufregendere Dinge getan.«
Craig warf ihm einen scharfen Blick zu.
»Sollten Sie etwa in meiner Vergangenheit nachgeforscht haben, Sergeant?«
»Das könnte man sagen.« Miller nickte den Jungen zu. »Kommt, wir kehren jetzt um.«
Sie rannten ihm voraus. »Auf Wiedersehen, Colonel.«
»Auf Wiedersehen.«
Als er den Abhang erklommen hatte, warteten die Jungen oben schon auf ihn. Miller blieb stehen, um Atem zu holen. Unten setzte Craig sein Morgentraining fort. Er hatte schon wieder eine halbe Runde hinter sich gebracht.
»Der läuft wohl für sein Leben gern, was, Onkel Nick?« erkundigte sich Roger.
»Anscheinend«, erwiderte Miller mit gerunzelten Brauen. Dann lächelte er. »Ich hab' einen Bärenhunger. Los – wer zuerst beim Auto ist.«
Das Freudengebrüll der Jungen mischte sich mit dem Bellen des Hundes und wurde leiser und leiser, während sie sich entfernten. Unten, auf dem Sportplatz, begann Duncan Craig eben seine zweite Runde.
Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hatte Nick Miller den Ehrgeiz besessen, es in Karate oder Judo bis zum schwarzen Gürtel zu bringen. Doch die Arbeit hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Er fand einfach nicht genug Zeit für Sport und Hobbys.
Als er am folgenden Morgen die Kardon-Judoschule betrat, war das seit fast einem Monat sein erster Besuch.
Bert King, der Trainer, war zum Kampf gekleidet, doch er saß an seinem Schreibtisch und las die Morgenzeitung. Eine Tasse Kaffee stand vor ihm. Er war ein kleiner, zusammengeschrumpfter Mann. Sein Kopf war unverhältnismäßig groß im Vergleich zu dem schmächtigen Körper.
Und doch bewegte er sich auf der Matte mit einer Geschmeidigkeit, einer Körperbeherrschung, die jedem Ästheten Bewunderung abnötigen mußten. Er war nicht nur ein Meister des Judo, sondern auch des Aikido.
»Morgen, Mr. Miller. Wir haben uns aber lange nicht gesehen«, sagte er erfreut.
»Ich habe einfach zu wenig Zeit«, antwortete Miller. »Aber heute morgen konnte ich mich eine Stunde freimachen. Können Sie mir eine Privatstunde geben?«
Bert King schüttelte den Kopf.
»Tut mir leid. Ich habe schon einen Schüler da. Er wärmt sich gerade auf. Ich wollte eben hineingehen.«
»Ein Bekannter?«
»Ich glaube nicht, daß Sie ihn kennen. Er kommt nicht regelmäßig her. Ein Mann namens Craig.«
Miller, der sich eben eine Zigarette anzünden wollte, hielt in der Bewegung inne.
»Colonel Duncan Craig?«
»Ja. Kennen Sie ihn?«
»Flüchtig. Ist er gut?«
»Gut? Sie würden Augen machen«, sagte Bert King mit Begeisterung. »Sein Aikido ist absolute Klasse – er verdient mindestens den braunen Gürtel, wenn nicht die höchste Auszeichnung. Aber seltsamerweise hat er die Prüfungen nie abgelegt. In den letzten Tagen ist er täglich zwei Stunden hier gewesen, und ich kann Ihnen sagen – ich hab' alle Hände voll zu tun, ihn in Schach zu halten.«
»Kann ich zusehen?«
»Bitte.«
Er trat aus dem Büro und öffnete die Tür zum Übungssaal. Miller zögerte einen Augenblick, dann folgte
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