Nacht des Flamingos
er und schloß die Tür hinter sich.
Craig und King standen einander auf der Matte gegenüber. Der Colonel trug einen alten Judokittel. Er schien in großartiger körperlicher Verfassung, ein Bild geballter Energie und Kraft.
»Fertig?« fragte Bert King.
Craig nickte.
Der Kampf, der nun folgte, dauerte knapp fünfzehn Minuten. Er gehörte zu den besten, die Miller je gesehen hatte. Als er beendet war, waren beide Männer schweißgebadet, und Bert King wirkte zum erstenmal, seit Miller ihn kannte, erschöpft.
»Ich glaube, ich werde alt«, stellte er fest. »Ich schlage vor, wir machen jetzt zehn Minuten Pause und feilen dann noch einige Feinheiten aus.«
»Ist mir recht.«
Craig nahm sein Handtuch von der Bank, um sich den Schweiß vom Gesicht zu wischen. Als er aufblickte, bemerkte er Miller, der noch immer an der Tür stand.
»Hallo, Sergeant! Wir scheinen in letzter Zeit dauernd die gleichen Einfälle zu haben.«
»Wir müssen demnächst mal einen Kampf zwischen Ihnen und Sergeant Miller arrangieren«, meinte Bert.
Miller schüttelte energisch den Kopf.
»Nein, danke. Colonel Craig ist mir ein bißchen zu gefährlich.«
»Glauben Sie ihm das nicht«, wandte sich Bert an Craig. »Er wird es Ihnen nicht leicht machen.«
»Davon bin ich überzeugt.« Craig ließ sein Handtuch auf die Bank fallen. »Ich mache ein paar Übungen, bis Sie soweit sind, Bert.«
An der einen Wand hing ein langer Spiegel. Craig stellte sich davor auf und begann, Karateschläge zu üben.
»Er ist gut, was?« bemerkte Bert King.
»Viel zu gut«, versetzte Miller. Dann drehte er sich um und ging. Auf seinem Gesicht mischten sich Nachdenklichkeit und Sorge.
»Na und, was ist schon dabei, wenn er im Park Dauerläufe macht und zum Judotraining geht?« meinte Chefinspektor Grant. »Es macht ihm wahrscheinlich Spaß. Es gibt viele Männer in seinem Alter, die in Form bleiben wollen. Ich wünschte, ich hätte die nötige Zeit dazu.«
»Aber Duncan Craig ist kein Durchschnittsmensch«, wandte
Miller ein. »Ich habe ein bißchen in seiner Vergangenheit herumgeschnüffelt. Bis 1939 studierte er an der Universität in Leeds Elektrotechnik und legte sein Diplom als Elektroingenieur ab. Bei Ausbruch des Krieges meldete er sich zu einem Panzerregiment und wurde 1940, als die Deutschen durchbrachen, gefangengenommen. Seine Großmutter war Französin, und er spricht die Sprache fließend. Das war ihm natürlich sehr nützlich, als er aus dem Gefangenenlager ausbrach und sich zu Fuß bis nach Spanien durchschlug. Als er wieder nach Haus zurückkehrte, wurde er der Special Operations Executive zugeteilt. Viermal sprang er über Frankreich ab, um bei der Organisierung der Widerstandstruppen Unterstützung zu leisten. Als er seinen letzten Auftrag ausführte, wurde er verraten. Doch wieder gelang es ihm, den Feinden zwischen den Fingern hindurchzuschlüpfen. Daraufhin versetzte man ihn in den Nahen Osten. Dort verbrachte er die letzten Kriegsjahre, wo er für ein Sonderkommando der Luftstreitkräfte arbeitete, das dort Partisanenkämpfer organisierte.
»Ein zäher Bursche«, stellte Grant fest.
»Das kann man wohl sagen. Als der Krieg zu Ende war, war er sechsundzwanzig Jahre alt und bekleidete den Rang eines Colonel. Er hat sämtliche Auszeichnungen erhalten, die die britische Regierung zu vergeben hatte, ist Mitglied der französischen Ehrenlegion und erfreut sich allgemeiner Hochachtung.«
Der Märzwind trieb Hagelkörner gegen das Fenster von Grants Büro. Der Chefinspektor seufzte.
»Jetzt hören Sie mir mal zu, Nick. Ich glaube, daß Sie da aus einer Mücke einen Elefanten machen.«
»Glauben Sie?« versetzte Miller hitzig. »Glauben Sie vielleicht, daß ein Mann dieses Kalibers sich resigniert zurückzieht und die Hände in den Schoß legt, während der Mörder seiner Tochter frei herumläuft?«
»Jetzt werden Sie auch noch melodramatisch.« Grant schüttelte mißbilligend den Kopf. »Nein, Nick, Ihre Theorie ist an den Haaren herbeigezogen. Das akzeptiere ich nicht. Ich will Sie ja gar nicht davon abhalten, daß Sie Max Vernon weiterhin im Auge behalten. Der Bursche wird früher oder später etwas unternehmen – und dann will ich darauf vorbereitet sein. Aber die Sache mit Craig – die müssen Sie sich aus dem Kopf schlagen.«
Miller knüllte das Papier, das er in der Hand hielt, zu einem kleinen Ball zusammen. Grant riß der Geduldsfaden.
»Lieber Gott, Nick,
Weitere Kostenlose Bücher