Nacht des Flamingos
– Mögen Sie klassische Musik?«
»Einiges. An sich bevorzuge ich guten Jazz. – Wie geht es Ihrem Vater?«
»Gut – sehr gut.« Sie starrte in ihr Glas und seufzte. »Ich muß Ihnen ein Geständnis machen. Ich habe Sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hierher gelockt.«
»Sie wollen sich also gar nicht mit mir unterhalten?«
Sie nickte. »Ich hoffte im stillen, daß Sie mit mir ausgehen würden.«
»Oh, das ist ein glänzender Einfall«, versicherte er. »Wohin möchten Sie denn gehen?«
»In den ›Flamingo Club‹.«
»Darf ich fragen, warum?«
»Ich möchte mir gern die Wandgemälde ansehen, die Joanna für diesen Vernon gemalt hat. Ich könnte ihn natürlich auch selbst um Erlaubnis bitten, aber das bringe ich nicht fertig. Ich hasse diesen Menschen.« Sie öffnete ihre Handtasche und nahm eine goldgeränderte Karte heraus. »Ich habe eine Mitgliedskarte – einer von Vaters Bekannten hat sie mir besorgt. Alle Mitglieder können Gäste mitbringen.«
Miller blickte einen Moment schweigend auf die kleine Karte nieder. Seine Brauen waren zusammengezogen, und sie legte eine Hand auf seinen Arm.
»Bitte, Nick.«
»Sie sind eine reizende Schwindlerin, wenn auch nicht sehr überzeugend«, stellte Miller fest. »Aber, schön, gehen wir hin. Um ehrlich zu sein, ich möchte mir das auf keinen Fall entgehen lassen. Ich bin sicher, daß es ein interessanter Abend wird.«
Im ›Flamingo‹ hatte sich seit Millers letztem Besuch eine Menge verändert. Aber damals war ja noch Harry Faulkner der Eigentümer und Geschäftsführer gewesen. Der ›Flamingo Club‹ war in erster Linie ein Nachtlokal gewesen. Gespielt hatte man nur in einem der Hinterzimmer. Es war damals ja noch gesetzlich verboten gewesen. Mit dem Erlaß des neuen Gesetzes hatte sich das alles geändert.
Das kleine Vestibül war mit einem dicken Teppich ausgelegt, in dem die Füße versanken. Es war luxuriös und dennoch nicht protzig ausgestattet. Der Mann, der auf sie zutrat, um Harriets Mitgliedskarte zu prüfen, hatte graue Schläfen und wirkte sehr vornehm.
Sie traten durch die Schwingtür am Ende eines kurzen Ganges und standen auf einer kleinen Balustrade, von der eine Treppe in den großen Spielsaal hinunterführte.
»Oh, Nick! Sehen Sie doch!«
Harriet berührte seinen Arm.
Die Wandgemälde waren erstaunlich gut. Insgesamt waren es vier, zwei auf jeder Seite des langen Saals. Sie stellten alle Kampfszenen dar und waren in der stilisierten Manier des siebzehnten Jahrhunderts ausgeführt. Dennoch besaßen sie eine Lebendigkeit und eine Ursprünglichkeit, die sie von anderen Gemälden dieser Art deutlich unterschied.
Miller schüttelte bewundernd den Kopf.
»Ich hatte keine Ahnung, daß sie so begabt war.«
»Es hätte eine große Malerin aus ihr werden können, Nick«, sagte Harriet. »Etwas ganz Besonderes.« Sie holte tief Atem und lächelte ein wenig gezwungen, als hätte sie beschlossen, an diesem Abend heiter und fröhlich zu sein. »Wollen wir uns nicht ein wenig umsehen, wo wir doch schon einmal hier sind?«
An den Tischen wurden die üblichen Spiele geboten – Chemin de Fer, Roulette, Siebzehn und Vier. Und in einem kleinen Seitenzimmer spielte man Poker. Millers Interesse konzentrierte sich vor allem auf die Gäste. In Vernons ›Flamingo Club‹ versammelte sich zweifellos allabendlich die Creme der Gesellschaft. Allein die Beträge, die an den Spieltischen eingesetzt wurden, waren dafür Beweis genug. Und Miller entdeckte hier und da auch bekannte Gesichter. Industrielle, Wollkönige und den Generaldirektor einer Konfektionsfabrik. Es waren allein vier Millionäre hier, die er persönlich kannte.
In den Räumen herrschte die Atmosphäre eines feudalen Londoner Klubs. Beflissene Kellner mit arroganter Miene und in roten Röcken eilten geschäftig hin und her und versorgten die Gäste mit kostenlosen Getränken. Die Unterhaltung war gedämpft, nur übertönt von den Rufen der Croupiers.
Charlie Ford und seine Kumpane wären hier gar nicht erst am Portier vorbeigekommen. Doch wenn es ihnen gelungen wäre, dann hätte dieser eine Besuch genügt, um den Klub für immer in Verruf zu bringen. Ein exklusives Lokal von der Art des ›Flamingo‹ lebte allein von seinem Ruf. Und wenn er das Renommee verlor, dann blieben auch die Gäste aus.
Sie standen am Roulettetisch und sahen dem Spiel zu, als Harriet Craig sich plötzlich zu Miller umdrehte.
»Ich möchte das
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