Nacht des Flamingos
Bedienung Wert legten. Es war klar, daß sie beim geringsten Anzeichen eines Skandals irgendeiner Art das Weite suchen und sich im Klub niemals wieder blicken lassen würden. Miller studierte die einzelnen Gesichter. Er stellte fest, daß die Störenfriede sich unter die Gäste verteilt hatten. Das bedeutete aller Wahrscheinlichkeit nach, daß an verschiedenen Stellen zugleich Unruhe ausbrechen würde.
Und dann entdeckte er Charlie Ford an der anderen Seite des Roulettetischs. Ford war etwa mittelgroß. Er hatte ungeheuer breite Schultern und einen stämmigen Körper. Die Narben unter seinen Augen und die mehrmals gebrochene Nase ließen darauf schließen, daß er früher Boxer gewesen sein mußte. Er trug einen überraschend gutsitzenden Anzug und drängte sich mit einer arroganten Rücksichtslosigkeit durch die Menge, die offensichtlich bereits den Ärger einiger Anwesender erregt hatte.
Hinter einer recht attraktiven Frau blieb er schließlich stehen.
Es war unmöglich zu sehen, was nun geschah, doch die Frau wandte sich plötzlich ruckartig um, und ihr Begleiter, ein dunkelhaariger junger Mann, trat einen Schritt auf Ford zu.
So also sollte es inszeniert werden!
Miller verließ seinen Beobachtungsposten und bahnte sich rasch einen Weg durch die Menge. Von hinten trat er an Ford heran und umfaßte mit festem Griff das Handgelenk des Mannes, noch ehe dieser wußte, wie ihm geschah.
»Los, gehen Sie!« zischte er Ford ins Ohr. »Ein Ton von Ihnen, und ich breche Ihnen den Arm.«
Ehe das junge Paar reagieren konnte, waren Miller und Ford im Gedränge der Gäste verschwunden. Hinter einer Säule blieben sie stehen. Miller hatte noch immer das Handgelenk des Gangsters in eisernem Griff. Fords rechte Hand fuhr in die Tasche. Im selben Moment tauchte Jack Brady auf, griff zu und nahm Charlie Ford den Schlagring ab, mit dem dieser eben auf Miller losgehen wollte.
»Sollte das nicht mein alter Freund Charlie Ford sein?« bemerkte er ironisch.
In Fords Augen funkelte Mordlust. Als Miller sich umdrehte und den Blick durch die Menge schweifen ließ, sah er, daß die anderen hastig den Rückzug antraten.
»Die Ratten verlassen das sinkende Schiff«, stellte Brady fest. »Wie unkollegial.«
Sie schleppten Ford in Lazers Büro. Miller drückte ihn in einen Sessel. »Wer bezahlt Sie?«
»Das werd' ich Ihnen gerade auf die Nase binden.«
Brady ließ den Schlagring zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her baumeln.
»Sie treiben ein gefährliches Spiel, Charlie. Vorbestraften ist jeglicher Waffenbesitz verboten. Das wissen Sie genau. Das kann Sie sechs Monate kosten.«
»Kleine Fische.« Ford drehte sich um, als Lazer mit besorgter Miene ins Zimmer trat. »Sie sind wohl Lazer, was?« Er lachte rauh. »Die Bullen holen! Was Dümmeres ist Ihnen wohl nicht eingefallen. Sie sind erledigt, mein Junge. Das ist Ihnen hoffentlich klar. So gut wie fertig.«
»Halten Sie endlich den Mund«, fuhr Miller ihn an und warf einen Blick auf seine Uhr. »Ich muß weg, Jack. Ich habe eine Verabredung. Bringen Sie ihn ins Gefängnis, ja?«
»Mit Vergnügen.«
Brady riß Ford grob vom Stuhl und führte ihn durch die Seitentür hinaus.
Miller wandte sich Lazer zu.
»Lassen Sie sich von dem Kerl nicht ins Bockshorn jagen, Chuck. Wir haben einen guten Anfang gemacht. So schnell werden die Kerle Sie nicht mehr belästigen.«
»Sicher – davon bin ich überzeugt«, versetzte Lazer. Doch in seinen Augen standen Sorge und Zweifel. Miller wußte, daß er ihm nicht glaubte.
Das Vestibül der ›Romney Bar‹ am Gascoigne Square war fast leer, als Miller kurz nach zehn Uhr ankam. Doch von Harriet Craig war keine Spur zu sehen. Er ging zur Bar und ließ sich auf einem Hocker nieder, von wo aus er die Tür sehen konnte. Er bestellte sich einen Whisky und steckte sich eine Zigarette an. Als er nach einer Weile aufblickte, entdeckte er sie im Spiegel. Sie stand hinter ihm an der Tür.
Sie trug einen apfelgrünen Abendmantel, der über einem einfach geschnittenen schwarzen Cocktailkleid auseinanderfiel. Als sie ihn bemerkte, lächelte sie und sah wiederum sehr reizvoll aus.
»Habe ich mich verspätet?« fragte sie, als sie sich auf dem Hocker neben ihm niederließ.
»Nein, ich war ein bißchen zu früh dran. Wie wär's mit einem Drink?«
»Gern. Einen Martini.«
»Wie war das Konzert?«
»Sehr schön – Mendelssohns ›Ruy Blas‹ und ein Klavierkonzert von Mozart.
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