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Nacht des Orakels

Nacht des Orakels

Titel: Nacht des Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Mary Sklarr, meiner Agentin. Anscheinend hatte jemand sie aus Los Angeles angerufen und gefragt, ob ich interessiert sei, ein weiteres Drehbuch zu schreiben, und jetzt sollte ich sie zurückrufen, um von ihr die Einzelheiten zu erfahren. 9 Ich rief sie an, aber es dauerte eine Weile, bis sie zur Sache kam. Wiealle anderen, die mir nahe standen, erkundigte Mary sich als Erstes nach meinem Befinden. Sie alle hatten mich damals bereits aufgegeben, und obwohl ich nun schon seit über vier Monaten aus dem Krankenhaus heraus war, konnten sie immer noch nicht glauben, dass ich überlebthatte, dass sie mich zu Beginn des Jahres nicht auf irgendeinem Friedhof begraben hatten.
    9
    Vier Jahre zuvor hatte ich für einen jungen Regisseur namens Vincent Frank eine Erzählung aus meinem ersten Buch,
Tabula Rasa,
bearbeitet. In dem mit wenig Aufwand produzierten Film ging es um einen Musiker, der sich von einer langwierigen Krankheit erholt und sein Leben nach und nach wieder neu zusammensetzt (eine prophetische Geschichte, wie sich herausstellte), und als der Film 1980 in die Kinos kam, schnitt er ganz gut ab.
Tabula Rasa
lief zwar nur in wenigen Programmkinos im Land, galt aber bei der Kritik als Erfolg und trug – wie Mary mir gern in Erinnerung rief – mit dazu bei, meinen Namen dem so genannten breiteren Publikum bekannt zu machen. Tatsächlich stiegen die Verkaufszahlen meiner Bücher ein wenig, und als ich neun Monate später meinen nächsten Roman,
Kleines Wörterbuch der menschlichen Gefühle,
ablieferte, handelte sie mit Holst & McDermott einen Vertrag aus, der mir doppelt so viel einbrachte wie der für mein voriges Buch. Zusammen mit dem bescheidenen Betrag, den ich für das Drehbuch bekommen hatte, erlaubte mir der Vorschuss, meine Dozententätigkeit an der Highschool aufzugeben, mit der ich mir in den vergangenen sieben Jahre meine Brötchen verdient hatte. Bis dahin war ich nur ein unbekannter, besessener Schriftsteller gewesen, der morgens von fünf bis sieben am Schreibtisch saß, der nachts und an den Wochenenden am Schreibtisch saß und in den Sommerferien immer zu Hause blieb, um in einer drückend heißen Wohnung in Brooklyn zu hocken und die verlorene Zeit wieder aufzuholen. Jetzt, anderthalb Jahre nach der Hochzeit mit Grace, fand ich mich plötzlich in der komfortablen Lage eines finanziell unabhängigen, selbständigen Schreiberlings. Nicht dass wir direkt wohlhabend waren, aber wenn ich in gleichmäßigem Tempo weiterschrieb, würde unser gemeinsames Einkommen uns ganz gut über Wasser halten. Nach
Tabula Rasa
erhielt ich einige Angebote für weitere Filme, aber da die Projekte mich nicht interessierten, lehnte ich sie alle ab, um weiter an meinem Roman arbeiten zu können. Als Holst & McDermott das Buch im Februar 1982 herausbrachten, bekam ich davon jedoch nichts mit. Denn da hatte ich schon fünf Wochen im Krankenhaus gelegen und bekam überhaupt nichts mehr mit – nicht einmal, dass die Ärzte davon ausgingen, dass ich nur noch wenige Tage zu leben hatte.
    Tabula Rasa
war eine Gewerkschaftsproduktion, und um als Drehbuchautor zugelassen zu werden, hatte ich der Autorengewerkschaft beitreten müssen. Als Mitglied musste man einen vierteljährlichen Beitrag zahlen und einen kleinen Prozentsatz seiner Einkünfte abführen, aber als Gegenleistung bekam man dafür unter anderem eine ordentliche Krankenversicherung. Ohne diese Versicherung wäre ich durch meine Erkrankung im Schuldturm gelandet. Die meisten Kosten waren gedeckt, aber wie immer in der Medizin gab es zahllose andere Punkte zu bedenken: Selbstbehalt, Zusatzkosten für experimentelle Behandlungen, unergründliche Prozentsätze und Staffeltarife für diverse Medikamente und Einweg-Utensilien, eine phantastische Kollektion von Rechnungen, die dazu führten, dass ich am Ende auf Schulden in Höhe von sechsunddreißigtausend Dollar sitzen blieb. Das war die Last, die Grace und ich zu tragen hatten, und je mehr ich wieder zu Kräften kam, desto mehr Sorgen machte ich mir, wie ich uns aus diesen Schulden herausarbeiten könnte. Graces Vater hatte uns Unterstützung angeboten, aber auch er war als Richter kein reicher Mann, und da die zwei jüngeren Schwestern von Grace noch aufs College gingen, brachten wir es nicht über uns, seine Hilfe anzunehmen. Stattdessen überwiesen wir jeden Monat einen kleinen Betrag, um so den Schuldenberg langsam abzutragen; aber wenn wir in diesem Tempo weitermachten, wären wir noch als Rentner nicht damit fertig.

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