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Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
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bekomme, nicht das Geringste zu tun hat.«
    »Abgesehen von diesem Russen habe ich auf Severinor niemanden verdächtig herumlungern sehen«, sagte Alcy.
    Er lächelte matt. »So soll es auch sein. Meine Spione sind ganz normale Leute: Fährtensucher, Händler, Reisende, Bauern, Bojaren, Kneze – nein, der, den wir getroffen haben, leider Gottes nicht«, erwiderte er, bevor sie ihn unterbrechen konnte. »Manche schreiben Briefe oder kopieren die Briefe anderer Leute. So habe ich ja auch von Benedeks Heiratsabsichten erfahren, wie du weißt. Anderen statten meine Leute einen Besuch ab, und wieder andere besuchen mich, wenn es Neuigkeiten gibt.«
    »Aber warum tust du das?«, fragte Alcy mit einem frustrierten Unterton in der Stimme. »Du hasst die Spielchen doch so, die die Großmächte in diesem Teil der Welt spielen, und die Ränkeschmiede und Revolutionäre verabscheust du doch auch. Warum lässt du dich auf dergleichen ein?«
    »So hat mein Vater auch gedacht«, erwiderte Dumitru. »Was er dabei nicht verstanden hat, ist, dass wir involviert sind, ob wir wollen oder nicht. Ich habe dir einmal gesagt, dass ich beim Schach nicht den Bauern spielen will. Wenn ich schon keine Wahl habe, ob ich spiele, dann will ich wenigstens
einer der Spieler sein. Und dass ich dabei pro Jahr fünfhundert Pfund mache und die Leute und Großmächte ausnutze, die eigentlich mich ausnutzen wollen, stört mich auch nicht.« Er lachte bitter. »Aber jetzt scheint sich das Blatt gewendet zu haben, und ich bin tatsächlich der Bauer, der ich nie sein wollte.«
    »Oh«, sagte sie und starrte an ihm vorbei in die Wälder. Er konnte sehen, wie sie nachdachte, alles durchging und in den größeren Kontext des Bildes einordnete, das sie sich von ihm gemacht hatte. Er fragte sich – und nicht zum ersten Mal -, wie dieses Bild wohl aussah und wofür sie ihn insgesamt hielt.
    Ihm wurde klar, wie sehr er sie vermisste, nicht nur ihren Körper oder die unterschwellige Gewissheit, dass sie auf ihn wartete, sondern das Gespräch mit ihr, ihre unziemlichen Fragen und ihren hinreißend schnellen Verstand. Was würde passieren, falls es ihm tatsächlich gelänge, sie nach Severinor zurückzubringen? Würde sie ihm vergeben oder auf die nächste Fluchtmöglichkeit warten? Und so sehr er sie auch wollte, würde er sie wirklich gegen ihren Willen halten wollen?
    »Ich bin froh, dass ich das jetzt weiß«, sagte sie schließlich. »Vielleicht bist du es einfach zu sehr gewohnt, andere zu täuschen. Es muss schwierig sein, sich das abzugewöhnen, und es ist von einem Spion, einem Drahtzieher, sicher viel verlangt, einem anderen einen Teil dieser Drähte abzugeben.« Bevor er sein Erstaunen ob dieser Antwort überwunden hatte, setzte sie noch hinzu: »Also, was machen wir jetzt?«
    Er rieb sich den Grind aus den Augen und lächelte sie müde von der Seite an. »Fliehen natürlich. Was sonst?«
    Alcy nahm ihm die schnodderige Antwort nicht ab. Sie hörte sich in ihren Ohren an wie diese beruhigenden Versprechen, dass ihnen nie etwas Schlimmes zustoßen würde, die Eltern ihren Kindern zu geben pflegten. Nett, aber bedeutungslos.
    Die Tage seit der Abreise aus Belgrad hatten sich zu einer Woche gedehnt. Jeder Kilometer führte sie tiefer in die Wildnis. Der Wald wurde immer dichter, und die Dörfer wurden rarer und kleiner. Es schien Alcy unfassbar, dass sie zur Hauptstadt eines Imperiums unterwegs waren, das einst die Fundamente der ganzen Christenheit erschüttert hatte. Einer Stadt, die tausend Jahre zuvor nicht weniger als das östliche Relikt des Römischen Reiches gewesen war. Sie konnte sich kaum vorstellen, der Zivilisation noch entrückter zu sein als jetzt. Da es ihr nicht gelang, sich mit Mathematik oder Philosophie abzulenken, verlegte sie sich auf Gedichtfragmente, die um den Sturz von Königen kreisten. Wie die Mächtigen stürzen vermischte sich mit Sehet mein Werk, ihr Mächtigen, und verzweifelt . Am Ende glaubte sie fast, die entvölkerte Landschaft stelle eine Warnung Gottes an künftige Generationen dar – nur wovor, das vermochte sie nicht zu sagen.
    Sie und Dumitru unterhielten sich kaum. Was hätten sie auch sagen sollen? Es tut mir leid, dass du bald sterben musst, und noch dazu vermutlich qualvoll. Es tut mir leid, dass sie dich gleichfalls umbringen werden, falls sie dich nicht doch in die Sklaverei verkaufen. Worte waren sinnlos. Sie änderten nichts. Ihre Rückkehr nach England war nur noch ein Traum, war vielleicht nie mehr als das

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