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Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
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marschierte los.
    Vom Rücken des Pferdes aus hatte die Straße ganz passabel ausgesehen, doch in Wirklichkeit war sie voller Schlaglöcher und mit Steinen gespickt. Schlamm besudelte ihre Füße und färbte Alcys Rocksaum braun. Dumitru zügelte seinen Schritt und behielt Alcy im Auge, doch es ließ sich nur schwer sagen, wie erschöpft sie war, denn sie lief entschlossen und schweigend neben ihm her, wobei ihre Miene so abwesend wirkte, dass Dumitru seine Zweifel hegte, ob sie den Pfad überhaupt sah.
    Ein paar Stunden später erreichten sie ein Dorf, und Dumitru trieb einen misstrauischen Bauern auf, der genug Serbisch verstand und ihnen sagen konnte, dass es bis Sofia
nur noch fünfundzwanzig Kilometer waren. Er übersetzte für Alcy, die müde lächelte und fragte: »Besteht eine Chance, dass wir hier Decken bekommen oder im Dorf übernachten können?«
    Er schüttelte den Kopf. »Und selbst wenn ich meinen Mantel eintauschen könnte, wäre es zu gefährlich. Erinnerst du dich an den Knez? Ein Dorf wie dieses nur zu passieren ist schon riskant genug.«
    »Also, dann«, sagte sie und biss die Zähne zusammen, »lass uns die Nacht durchmarschieren, dann sind wir bei Sonnenaufgang in Sofia. Wenn wir allzu lange Halt machen, erfriere ich noch, und wenn wir bei Nacht gehen, schlafen sicher auch die hiesigen Banditen.«
    Dumitru zögerte kurz, dann zuckte er die Achseln. Die Lösung sagte ihm nicht zu, aber ihm fiel auch keine bessere ein. »Wie du willst.«
    Also marschierten sie weiter. Die Sonne ging unter, sie hatten Neumond, aber der Himmel glitzerte im weißen Licht von Tausenden von Sternen und erhellte die Straße zu einem bleichen Band, das durch das Dunkel des Waldes schnitt.
    »Worüber denkst du eigentlich nach, wenn du aussiehst, als blicktest du in eine andere Welt?«, fragte Dumitru, nachdem Alcy innerhalb einer Minute dreimal gestolpert war und sie eine Rast einlegten. Sie saßen auf einem trockenen Flecken Unkraut am Straßenrand und verschwanden förmlich im Schatten der Bäume hinter ihnen.
    »Mathematische Notation«, sagte sie, einen Anflug von Streitlust in der Stimme, da sie offenbar mit einer spöttischen Antwort rechnete.
    Aber Dumitru lächelte nur. Er hätte es wissen müssen.
»Und kannst du deine Füße spüren, wenn du über mathematische Notation nachdenkst?«
    Sie kicherte, was sich erstaunlich mädchenhaft anhörte. »Nicht besonders, aber das ist ja genau der Grund, weshalb ich darüber nachdenke, auch wenn ich kaum einen zusammenhängenden Gedanken fassen kann. Mag sein, dass ich mit der Mathematik nicht weiterkomme, dafür aber zumindest mit den Füßen.«
    »Ich würde es ja gern versuchen, aber ich fürchte, es könnte mich so verwirren, dass ich stolpern würde.«
    »Was ich ja auch getan habe«, sagte sie, und er konnte spüren, dass sie lächelte, wenn auch etwas erschöpft. »Und das ist vermutlich der Grund, weswegen wir beide jetzt hier sitzen, anstatt uns Sofia zu nähern.«
    »Sollen wir also weitergehen?«, fragte er.
    »Ich erhole mich nicht besonders, wenn ich mich hinsetze«, gab sie zu. »Ich fange an zu zittern, kaum dass wir uns nicht mehr bewegen, und das Weiterlaufen fällt mir dann noch schwerer.«
    Dumitru stand auf, zog seinen Mantel aus und verfluchte sich einmal mehr für seine Unachtsamkeit, derentwegen sie von den Banditen überfallen worden waren – sage und schreibe zweimal.
    »Oh, nein«, protestierte sie. Er wollte ihr den Mantel umlegen, doch sie hob abwehrend die Hände. »Nein, Dumitru. Ich habe mindestens so viele Stoffschichten an wie du. Sobald wir uns bewegen, geht es mir wieder gut.«
    Er zögerte. In der mondlosen Nacht war ihr Gesichtsausdruck nicht zu erkennen, aber er konnte ihn sich vorstellen – das gereckte Kinn, der entschlossene Mund. Er seufzte und zog den Mantel wieder an. »Falls ich dich zittern
sehe, wirst du ihn aber doch anziehen«, warnte er und streckte ihr die Hand hin.
    »Solange wir in Bewegung bleiben, ist alles gut«, versicherte sie ihm.
    Aber Alcy täuschte sich. Je länger die Nacht sich hinzog, desto bitterer wurde die Kälte. Sie kroch ihr unter die Kleider und wanderte ihre Gliedmaßen hinauf, bis sie schließlich ihren Bauch erreichte und an den Eingeweiden nagte, sodass Alcy schließlich vornübergebeugt dahinging, wobei ihre Muskeln sich unter Protest verkrampften. Ihre Finger schienen zu knacken, wann immer sie sie zu einer Bewegung zwang, und die schlammgetränkten Röcke klebten an ihren Knöcheln. Die Nässe

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