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Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
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sich leise in das Zimmer und erwartete, die Mistress der schlafenden Zofe gleichfalls bei einer Handarbeit vorzufinden.
    Aber Alcyone saß inmitten von Stapeln Büchern und Journalen an einem der beiden breiten Tische und drehte ihm halb den Rücken zu. Sie neigte sich stirnrunzelnd über ein paar Dokumente, studierte finster ein Schriftstück und machte sich auf einem halb beschriebenen Blatt Notizen. Sie trug ein heiteres Tageskleid, dessen strenger Zuschnitt nach der neuesten Mode durch das Lavendelblau sowie ein Schultertuch aus Spitze aufgelockert wurde. Ihr schwarzes Haar – er hatte nicht gewusst, wie lang es war, da sie es gestern Nacht nicht gelöst hatte – war zu einer raffinierten Frisur arrangiert, wie verheiratete Frauen sie trugen. Ohne die Seitenlöckchen der Debütantinnen und mit einem kunstvollen Knoten im eleganten weißen Nacken. Obwohl er sie von seinem Standpunkt aus nur im Halbprofil sehen konnte, war Dumitru hingerissen von ihrem Gesicht. Sie war so schön, und er staunte fassungslos, obwohl er sie heute Morgen noch gesehen hatte. Und doch hatte ihr Ausdruck nichts von der trägen Seichtheit oder der stillen
Tugend, die ein Künstler einem solchen Gesicht beigegeben hätte.
    Stattdessen lebte es vor Gefühl, Konzentration und Verärgerung und war von einer Intensität, die in irritierendem Gegensatz zu dem stand, was ihre schönen Gesichtszüge verhießen. Aber nicht irritierender als die Tatsache, dass sie mehr Geld besitzt, als ihr Gatte es sich je hätte erträumen lassen, flüsterte es vorwurfsvoll in seinem Hinterkopf.
    Trotz des bitteren Beigeschmacks seiner Überlegungen gab ihm der Ausdruck, der über ihr Gesicht huschte, das ungewohnte Gefühl, ein Eindringling zu sein. Also trat er den Rückzug an, um sich mit einem Klopfen anzukündigen. Doch Alcyone schien etwas gehört zu haben, denn sie richtete sich auf und sah sich hastig um. Sie legte die Hand auf das Schreibpapier und zog sie schnell wieder weg, als sie die nasse Tinte spürte. Mit einem entsetzten Aufschrei konzentrierte sie sich wieder auf das Schriftstück.
    »Nun sieh dir an, was du angerichtet hast! Ich habe es verschmiert«, rief sie vorwurfsvoll und verzweifelt, griff sich ein Löschpapier und bemühte sich erfolglos, den Schaden zu beheben.
    Dumitru machte den Mund auf, um sich zu verteidigen, da schaltete sich die Zofe ein, die mit einem kleinen damenhaften Schnauben erwacht war und sie beide eulenhaft anzwinkerte. Sie erhob sich umständlich, zog sich wortlos zurück und schloss die Tür, was Dumitru als absolut übertriebene Höflichkeit auffasste.
    Doch mittlerweile war seine instinktive Abwehrhaltung einer natürlichen Neugier gewichen, und er trat näher, um sich anzusehen, was seine Frau da so verzweifelt trocken tupfte.

    Er rühmte sich seiner guten Englischkenntnisse, aber die halfen ihm jetzt auch nicht weiter. Die Blätter auf dem Tisch waren allesamt von der gleichen Hand und mit kryptischen Zeichen, sonderbaren Diagrammen und Formeln bedeckt, die sich ihm nicht erschlossen. Eine der Zeilen lautete: R ? Regel??? I 2 = j 2 = -k 2 = -l, i 2 = j 2 = k 2 = -1. Eine andere lautete: Gesellschaft/Reg. – teilbar oder Elefanten-Teile?
    »Was ist das?«, fragte er.
    Alcy warf ihm über die Schulter einen unglücklichen Blick zu, schob die Blätter zu einem Haufen zusammen und versteckte alles unter dem verschmierten Blatt. »Es ist nur so eine Art Spiel, das ich brieflich betreibe – ein Rätsel wie die Anagramme, die manchen Leuten so viel Freude bereiten.«
    »Es sah mir aber gar nicht wie ein Rätsel aus.« Dumitru deutete auf die Blätter in ihrer Hand und die Stapel von Publikationen, die auf dem ganzen Tisch herumlagen. »Und das? Was soll das sein?« Er betrachtete das Durcheinander und nahm wahllos einen der Bände zur Hand. » Journal de mathématiques ?«
    »Das ist nichts«, wiederholte sie gepresst und starrte das Journal in seiner Hand an.
    Aber Dumitru war neugierig, also ignorierte er ihren missmutigen und zunehmend verängstigten Blick und begann, sich durch die Stapel zu arbeiten. Alcyone gab einen erbosten Laut von sich und stand auf. Ihre Hände flatterten sinnlos herum, als wisse sie nicht, ob sie sich ihr Eigentum schnappen oder sich besser wie eine Lady benehmen solle. Er nutzte ihre Unentschlossenheit aus. Hydrodynamica. Kritik der reinen Vernunft. Acta eruditorum. Qu’est-ce
que la propriéte? Edinburgh Philosophical Journal. Göttinger Studien. Kein Wunder, dass sie so viele Sprachen

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