Nacht in Havanna
zu verbessern und der Familie etwas zu hinterlassen. Genau wie Fidel. Er hat die Regierung mit einem legitimen Sohn und einem Dutzend unehelicher Kinder durchsetzt. Diese Männer sind nicht anders.«
»Und dabei ist auch irgendwo Platz für das Kasino?«
»Ich hoffe.«
»Warum erzählen Sie mir das alles?«
»John sagt immer die Wahrheit«, schaltete Walls sich ein. »Die Wahrheit ist eben bloß ziemlich vielschichtig.«
»Kasino, Kampfstiefel, AzuPanama. Was davon ist echt und was nur Schwindel?«
»In Kuba«, sagte O’Brien, »gibt es eine sehr schmale Grenze zwischen dem Realen und dem Absurden. Als kleiner Junge hat Fidel Castro Franklin Roosevelt einen Brief geschrieben und ihn um einen Dollar gebeten. Später haben ihn Talentscouts der Profiliga als Werfer im Auge gehabt. Wir haben es also mit einem Mann zu tun, der um ein Haar ein amerikanisches Idol geworden wäre. Statt dessen wird er Fidel. Der Bericht des Talentscouts lautete übrigens: >Gutes Baseball, keine Kontrollen< Im Kern, mein lieber Arkadi, ist alles lächerlich.«
Der Mann aus der Bucht war tot, Rufo war tot, Hedy und ihr Italiener waren niedergemetzelt worden, dachte Arkadi. Das war real. Die Kubaner am Tisch hörten mit halbem Ohr zu, während sie weiter den Marsch der Hummer vom Grill und die seltsame Zeremonie mit den wahllos aus einer Glasschüssel gefischten und feierlich verlesenen Zetteln beobachteten. Es schien nicht so sehr darauf anzukommen, wer Hummer bestellt, sondern vielmehr darauf, daß alle bestellt hatten. Arkadi glaubte, daß sich die ganze Gesellschaft, wenn einer der Gäste keinen Hummer bestellt hätte, wie ein Mann erhoben und das Lokal auf der Stelle verlassen hätte.
»Haben Sie etwas dagegen…?« Arkadi wies mit dem Kopf auf Erasmos Tisch.
»Bitte sehr«, erteilte O’Brien seinen Segen. Tico zerlegte genüßlich sein Schalentier, Mostowoi saugte an einer Schere.
»Derart saftigen Hummer finden Sie nirgendwo sonst auf der Welt.« Mostowoi wischte sich den Mund ab, als Arkadi auf einem leeren Stuhl an seinem Tisch Platz nahm. Der Fotograf ließ durch nichts erkennen, daß er den Brand im Sierra Maestra mit Arkadi in Verbindung gebracht hatte.
Erasmo sagte kein Wort und rührte auch seinen Hummer nicht an. Arkadi erinnerte sich, wie er bei dem Santero ron peleo getrunken und sich im Rhythmus von Mongos Trommeln in seinem Rollstuhl hin und her gewiegt oder wie ein bärtiger Freibeuter aus dem Jeep gelehnt hatte. Heute saß ihm ein deutlich zurückhaltenderer Erasmo gegenüber.
»Das ist also der echte Havana Yacht Club«, sagte Arkadi zu ihm. »Kein Mongo, kein Fisch.«
»Es ist ein anderer Club.«
»Offensichtlich.«
»Das verstehen Sie nicht. Dies sind alles Männer, die zusammen in Angola und Äthiopien gekämpft haben, Seite an Seite mit Russen.«
»Bis auf O’Brien.«
»Und Sie?«
»Ich?« Arkadi konnte sich nicht erinnern, in einen Club aufgenommen worden zu sein. »Wieso ich?«
Erasmos Kopf rollte hin und her, als hätte er erfolglos versucht, sich bewußtlos zu trinken. »Wieso? Ein dummer Zufall. Stellen Sie sich vor, Sie würden ein Stück aufführen und wären gerade im zweiten Akt, und plötzlich spaziert jemand auf die Bühne. Ein Neuling, der den Text nicht kennt. Was machen Sie? Zuerst versuchen Sie, ihn von der Bühne zu schaffen, indem Sie einen Sandsack auf ihn fallen lassen oder ihn in die Kulisse locken, wo Sie ihm möglichst unauffällig eins drüberziehen können, denn das Publikum sieht ja zu. Aber was machen Sie, wenn Sie den Mistkerl nicht von der Bühne kriegen? Sie fangen an, ihn in das Stück einzubauen, teilen ihm die Rolle einer vermißten Person zu, spielen ihm so elegant wie möglich ein paar Zeilen Text zu, so daß der dritte Akt praktisch unverändert über die Bühne geht, so wie er immer geplant war.«
Der letzte Hummer wurde serviert. Auf allen Tellern lagen jetzt Tiere oder gründlich ausgeweidete Schalen, obwohl Arkadi bemerkt hatte, daß viele Gäste ihrem Essen wenig Beachtung schenkten, nachdem es erst einmal aufgetragen war. Ein großer Mann mit Pilotenbrille stand auf und hob ein Glas mit Rum. Es war derselbe Offizier, den Arkadi zusammen mit Erasmo und dem Commandante auf einem Foto gesehen hatte. Der Mann brachte einen Toast auf den »Havana Yacht Club« aus. Alle außer Arkadi und Erasmo erhoben sich, wobei Erasmo zumindest sein Glas hochhielt.
»Und was jetzt?« fragte Arkadi. »Beginnt jetzt das Treffen?«
»Das Treffen ist vorüber. Viel Glück«,
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