Nacht in Havanna
Papiergirlanden. Ein Schwärm Spatzen flatterte auseinander, als ein Wanderfalke auftauchte. In wilder Verfolgungsjagd ging es um die höchste Kuppel und weiter zu den Bäumen des Prado. Der Winter war die Habichtsaison in Havanna. Statt dessen sagte sie: »Es tut mir leid.«
»Leck mich doch. Es gibt gar keinen Badeanzug, oder?«
»Nein.«
»Das ist echt komisch. Ich habe meinen Deutschen verloren. Ich habe mein Geld verloren. Nach Santa Clara kann ich auch nicht zurück, weil meine Familie darauf angewiesen ist, daß ich hierbleibe und ihr Geld schicke, sonst wäre ich in der Scheißschule, wie du gesagt hast. Und nachdem du mein ganzes Leben ruiniert hast, bis du selbst eine jinetera? Das ist wirklich komisch.«
»Du stehst nicht auf der Liste.«
»Ich stehe nicht auf der Liste?«
»Nein. Ich habe das bloß gesagt, um dir angst zu machen.«
»Weil wir Konkurrentinnen sind.«
»Du bist ein schlaues Mädchen.«
»Leck mich am Arsch.« Teresas Nase lief und hinterließ eine Schnodderspur auf ihrer Oberlippe. »Teresa -«
»Laß mich in Ruhe. Verpiß dich einfach.«
Doch Ofelia konnte noch nicht gehen. Als Luna Arkadi im Centro Russo-Cubano gesehen hatte, war er vollkommen ausgerastet, während der Sargento sie nur in den Kofferraum des Wagens gesperrt hatte, obwohl es genauso einfach gewesen wäre, ihr die Kehle durchzuschneiden. Warum? »Setz dich.«
»Verpiß dich.«
»Setz dich hin.« Ofelia drückte sie auf ihren Stuhl und trat hinter sie. »Bleib sitzen.«
Teresa folgte ihr mit den Blicken. »Was machst du?«
»Sei still.« Ofelia holte ihre neue Bürste und den Kamm aus der Tasche und strich die schwarze Holzwolle von Teresas Haar nach hinten. »Sitz einfach still.«
Wellen, Locken und kleine Knoten am Haaransatz, fest wie kleine Sprungfedern, hätten Ofelia möglicherweise abgehalten, wenn Muriel nicht beinahe genauso dickes Haar gehabt hätte. Es war nicht damit getan, die Haare einfach nach hinten zu kämmen, sie mußte sie entwirren und auflösen, um ihnen wieder eine Form zu geben.
»Du mußt dich auch um dich selbst kümmern, chica.« Zunächst ließ Teresa Ofelias Bemühungen mit stummem Trotz über sich ergehen, doch nach einer Weile spürte sie, daß Teresa nicht mehr so ablehnend auf ihre Bemühungen reagierte. Haar wie ihres erwärmte sich beim Bürsten, vor allem an einem heißen Tag wie diesem, und glänzte, wenn man es auch nur ein wenig pflegte, wie poliertes Silber. Vierzehnjahre alt? Seit zwei Tagen allein? Voller Angst um ihr Leben? Selbst ein streunendes Kätzchen mußte hin und wieder gestreichelt werden.
»Ich wünschte, ich hätte Haare wie du. Dann brauchte ich kein Kopfkissen mehr.«
»Das sagen alle«, murmelte Teresa.
»So sieht es viel besser aus.«
Als Teresa sich ganz entspannt hatte, begannen ihre Schultern mit einem Mal zu beben, und als sie sich zu Ofelia umdrehte, war ihr Gesicht tränenüberströmt. »Jetzt habe ich mein ganzes Make-up ruiniert.«
»Ich zeig’ dir, was ich noch habe.« Ofelia steckte die Bürste zurück in die Tasche. »Das wird dich aufheitern.«
»Was denn? Der blöde Badeanzug?«
»Besser als ein Badeanzug.«
»Ein Kondom?«
»Nein, noch besser.« Ofelia holte die Neun-Millimeter-Makarow-Pistole aus der Tasche und gab sie Teresa.
»Schwer.«
»Ja.«
Ofelia nahm die Makarow zurück. »Ich finde, an jede Frau sollte eine Pistole ausgegeben werden. Nicht an die Männer, nur an die Frauen.«
»Ich wette, Hedy hat sich gewünscht, daß sie so etwas hätte. Kennst du meine Freundin Hedy?«
»Ich habe sie gefunden.«
» Cono«, sagte Teresa beinahe ehrfürchtig. Als Ofelia die Waffe wieder verstaut hatte, blieb sie in der Hocke und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern, als ob sie nicht die gesamte Skyline Havannas für sich hätten. »Ich weiß, daß du Angst hast, dir könnte das gleiche passieren, aber ich kann sie aufhalten. Du hast doch eine Ahnung, wer es getan hat, sonst würdest du dich nicht verstecken, wo? Die Frage ist, vor wem versteckst du dich?«
»Bist du wirklich von der Polizei?«
»Ja. Und ich möchte dich nicht so finden, wie ich Hedy gefunden habe.« Ofelia ließ dem Mädchen einen Moment Zeit, darüber nachzudenken. »Was war mit ihrem Schutz?«
»Ich weiß es nicht.«
»Der Mann, der dich und Hedy beschützt, wie heißt er?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Du kannst es nicht sagen, weil er im Innenministerium ist und du Angst hast, daß er erfährt, daß du geredet hast. Wenn ich ihn vorher erwische,
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