Nacht-Mähre
kennen, als die Obszönität, die wir erst noch kennenlernen müssen. Also gut, wir werden Arnolde behandeln wie einen Menschenkönig, und wir werden seinem Ruf folgen, sobald er uns erreicht.«
»Die Mundanier könnten Schloß Roogna aber bereits überrannt haben, bevor eure Streitmacht zur Verteidigung eingetroffen ist«, bemerkte Imbri. »Es wäre wesentlich besser, wenn ihr euch schon jetzt auf den Weg zu Schloß Roogna machtet, um auch dort zu sein, wenn man euch braucht.«
Gerome schüttelte den Kopf. »Das gefällt uns zwar gar nicht, aber ich muß zugeben, daß dieser Vorschlag etwas für sich hat. Wir brauchen zwei Tage, um in der Nähe von Schloß Roogna anzulegen, und einen weiteren halben Tag, um landeinwärts zu marschieren. Können eure Kräfte die Welle so lange abhalten?«
»Wahrscheinlich«, erwiderte Imbri im Traum. »Die Hälfte der mundanischen Armee ist bereits vernichtet worden. Die andere Hälfte dürfte zwei oder sogar drei Tage brauchen, um bis Schloß Roogna vorzustoßen.«
»Sehr gut, dann könnt ihr von unserer Schutzgarantie ausgehen. Aber die Sache hat ihren Preis.«
»Welchen Preis?«
»Wir haben hier bereits eine de-facto -Regionalautonomie. Wir verlangen, daß sie von der Regierung Xanths per sofort und auf alle Zeiten formal anerkannt wird.«
»Wenn Arnolde König wird, wird er euch das bestimmt gewähren.«
»Dafür solltest du sorgen«, meinte Gerome streng.
Das war es auch schon. Zentauren unterlagen einem strengen Ehrenkodex, und sie wußte, daß Gerome Wort halten würde. Imbri zog sich aus dem Traum des Ältesten zurück, um ihn in Frieden weiterschlafen zu lassen. Aber sie hinterließ einen sauberen Hufabdruck auf seiner Türschwelle, damit er sich nach dem Aufwachen auch wieder an sie erinnerte.
Wieder auf Schloß Roogna angekommen, erstattete sie Bericht. »Sie schicken uns Truppen, aber sie verlangen Autonomie.«
»Das können wir nicht entscheiden«, sagte Königin Irene. Sie hielt Wache, während ihre Mutter schlief, und wartete auf Chamäleons Rückkehr. »Das kann nur der König.«
»Es wird sowieso Zeit, daß ich wieder zu König Bink trabe«, sendete Imbri. Sofern er noch lebt, dachte sie nervös bei sich.
»Ja. Er ist der Vater meines Mannes«, sagte Irene. »Bring ihn auf jeden Fall hierher, egal in welchem Zustand er sich befinden mag.« In den letzten paar Tagen war sie rapide gealtert und glich inzwischen eher ihrer Mutter. Sie hatte tiefschwarze Ringe unter den Augen, und ihr Gesicht wies einige frische Falten auf.
Imbri war müde, hatte aber keine Zeit, sich auszuruhen. Sie verließ das Schloß und trabte zum Baobabbaum.
König Bink war natürlich nicht mehr da, denn er hatte den Baum ja schon während der Sturmflut verlassen. Jetzt waren hier nur noch Mundanierleichen, Waldreste, trocknende Schlammschichten und vereinzelte Flaschen zu sehen. Imbri überprüfte eines der Fläschchen, doch es war geöffnet und leer. Sein Inhalt war wohl zum Opfer der Fluten geworden. Das Wasser war zwar versickert, doch es würde noch lange dauern, bis sich die Gegend wieder erholt hatte.
Nun stieg die kleine Anhöhe empor zu dem Vorsprung, der noch gestern abend zur Insel geworden war. Sie fand die Überreste eines Lagerfeuers, zwei leere T-Tassen von einem T-Baum und Töpfe von einer Topfpflanze. Bink und Varsoboes hatten also zusammen gespeist. Doch was war dann geschehen?
Imbri suchte die Stelle nach Fußspuren ab, schnüffelte, horchte. Sie hatte empfindliche Pferdesinne und entdeckte so etwas wie eine Fährte.
König Bink hatte einen Kissenstrauch ausfindig gemacht und dort geschlafen. Doch auch die Spuren Varsoboes führten zu derselben Stelle. Sie waren frischer, also war er erst später dorthin gegangen. Die Fährte sah nicht aus wie die eines Mannes, der in aller Offenheit dahergekommen war, dazu waren die Spuren an den Zehen zu tief eingedrückt und hatten zuwenig Sand aufgewühlt. Er hatte sich also angeschlichen.
Ein heimlicher Überfall bei Nacht, noch vor dem Morgengrauen. Beide Männer verschwunden. Das gefiel Imbri gar nicht. Hatte der punische Heeresführer etwa hinterrücks…?
Doch es war kein Blut zu sehen. Kein Anzeichen von Gewaltanwendung. Varsoboes hatte sich angeschlichen – aber Bink war ihm nicht zum Opfer gefallen. Er hatte sein Bett schon vorher verlassen, hatte möglicherweise eine Attrappe von sich zurückgelassen.
Varsoboes hatte also einen verräterischen Anschlag vorgehabt, aber Bink war ihm zuvorgekommen. Der König
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