Nacht-Mähre
nur verlaufen, und behandeln mich nicht ganz so schlecht.«
Grundy nickte. »Für deine Verhältnisse war das keine schlechte logische Leistung«, meinte er. Offenbar war der Hengst doch nicht ganz so dumm, wie sie geglaubt hatten. »Aber wenn du Ichabod auf dir reiten läßt und später von den Mundaniern gefangengenommen werden solltest, dann werden sie denken, daß wir dich eingefangen haben und du keine andere Wahl hattest. Und weil wir dich nicht freiließen, bist du auch nicht nach Mundania zurückgekehrt.«
Das Tagpferd dachte über das Gesagte nach. »Benutzt euer abtrünniger Mundanier Sporen?«
»Nein. Ichabod ist ein alter Mann, der wahrscheinlich in seinem ganzen Leben noch nie ein Pferd geritten hat. Einen Zentauren vielleicht, weil der Zentaurenarchivar Arnolde sein engster Freund ist, aber das ist ja nicht dasselbe. Du müßtest sehr vorsichtig vorangehen, um zu vermeiden, daß Ichabod abstürzt.«
Das Pferd verdaute diese Schilderung. Ichabod schien wirklich keine allzu große Bedrohung darzustellen. »Und auch keine Trense?«
»So was kennen wir in Xanth gar nicht. Hier tragen Lebewesen andere nur, wenn es ihnen paßt. Imbri hier läßt mich zum Beispiel auf ihr sitzen, weil sie weiß, daß ich allein nicht so schnell vorankomme wie sie. Sie hat ja auch keine Trense im Maul, nicht wahr?«
Endlich ließ sich das Tagpferd überreden, Ichabod zu tragen, allerdings unter der Bedingung, daß es zwischen ihm und den Mundaniern zu keinem direkten Kontakt kommen sollte. »Ich will nicht einmal einen von denen sehen«, beharrte es. »Wenn ich sie nämlich sehe, können die mich vielleicht auch sehen, und wenn sie mich gesehen haben, werden sie mich jagen und wieder einfangen.«
»Aber du könntest ihnen doch einfach davonlaufen!« wandte Grundy ein.
»Dann würden sie mit Pfeilen nach mir schießen. Darum will ich ihnen gar nicht erst zu nahe kommen.«
»Das klingt vernünftig«, gab der Golem zu.
Sie verließen den Baum, fingen den Archivar und Chamäleon ab und machten sich auf den Weg nach Norden. Ichabod hatte tatsächlich Mühe, sich auf dem Pferderücken zu halten, und er mußte sich ständig an der Mähne des Hengstes festklammern, um nicht abzurutschen. Doch nach und nach gewöhnte er sich daran und entspannte sich, genau wie das Pferd. Ohne Trense und Zügel war die Sache nur halb so schlimm, und schon bald konnten sie einiges an Tempo zulegen.
Imbri stellte fest, daß sie auf den Hengst, der sich als ausdauernder Läufer herausstellte, auf zweierlei Weise reagierte. Einerseits gefiel ihr sein Körper sehr, doch von seinem trägen Verstand fühlte sie sich etwas abgestoßen. Und doch, so erinnerte sie sich selbst, mochte sie Chamäleon ja auch trotz ihrer Dummheit. Na ja, vielleicht lag das aber auch daran, daß Chamäleon kein potentieller Paarungspartner war.
Genau – das war’s! Die Anwesenheit eines prächtigen Hengstes bedeutete unweigerlich Paarung, wenn Imbri in die Hitze kam. Jetzt, als sterbliches Tier, unterlag sie auch solchen Zyklen. Sie würde eines Tages altern und sterben, und wenn sie kein Fohlen warf, würde niemand da sein, um ihre Arbeit fortzusetzen und ihren Anspruch auf das Mondmeer wahrzunehmen. Stoffliche Wesen mußten sich nun einmal paaren, um ihre Position zu halten, und sie selbst würde dasselbe tun, wenn sich Gelegenheit dazu bot. Das war kein Zwang – sie wollte es selbst so.
Doch sie wollte auch ein gutaussehendes und kluges Fohlen haben. Der Hengst sah zwar gut aus, war aber nicht klug. Das würde für das Fohlen nur den halben Kuchen bedeuten. Andererseits war das Tagpferd wahrscheinlich ihr einziger verfügbarer Paarungspartner in ganz Xanth, es sei denn, sie suchte die geflügelten Pferde im Gebirge auf. Doch sie hatte gehört, daß die sich nur selten dazu herabließen, sich mit irdischen Pferden abzugeben. Das ließ ihr nicht allzu viele Wahlmöglichkeiten und machte ihr die Entscheidung schwer.
Doch gab es da überhaupt so etwas wie eine Entscheidung? Wenn eine Mähre hitzig wurde – und das war eine Angelegenheit, die sich ihrer bewußten Kontrolle entzog, wenn sie stofflich war –, dann würde sich jeder gerade anwesende Hengst mit ihr paaren. Da hatte die Natur dem freien Willen keinen Platz eingeräumt, vielleicht sogar glücklicherweise. Bei Menschen war das anders; die konnten sich jederzeit paaren, und weil ihr Charakter so kompliziert und unterschiedlich war, geschah es oft, daß sie dies zur falschen Zeit oder mit dem falschen Partner
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