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Nacht-Mähre

Titel: Nacht-Mähre Kostenlos Bücher Online Lesen
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immer noch unversehrt und kräftig; er konnte die Last aushalten. Chamäleon und Grundy stiegen bei ihm auf und leisteten Ichabod Gesellschaft, während Imbri sich mühsam mit Hilfe ihres heilen rechten Beins aufrichtete.
    Ihr linkes Bein blieb taub, und so erschien es ihr besser, es eingeknickt zu halten und auf den anderen drei weiterzuhüpfen. Auf diese Weise konnte sie wenigstens gehen, wenn auch nur in abgehacktem Rhythmus und langsam.
    »Vielleicht könnten wir eine Schiene basteln«, meinte Ichabod. »Damit dein Knie gerade bleibt und du das Bein wenigstens belasten kannst.«
    Das war eine gute Idee. Sie suchten die Umgebung ab, bis sie schließlich einen Vorsprung fanden, aus dem mehrere recht kräftige Pfähle wuchsen. Ichabod stieg ab und zerrte an einem der Pfähle, doch trotz größter Anstrengung zappelte der nur wie wild, blieb aber im Erdreich verwurzelt.
    »Schneid ihn lieber ab«, schlug Grundy vor.
    Chamäleon hatte ein gutes Messer dabei. Imbri hatte zwar keine Vorstellung, wo sie es aufbewahrt hatte, denn es war nichts davon zu sehen gewesen, aber immerhin wies dies darauf hin, daß die Frau nicht gänzlich hilflos war. Sie kauerte sich vor den Pfahl und machte sich daran, mit der Klinge hineinzusägen.
    Da begann der Boden plötzlich zu erzittern, und ein Grollen und Rumpeln erscholl. Chamäleon hielt inne und schielte zu den anderen empor.
    »Ein Rumpeln hat nichts weiter zu bedeuten«, meinte Grundy. »Nur, daß man eben möglichst schnell abhauen sollte, bevor ein Erdbeben auf den Gedanken kommt, einem einen Besuch abzustatten.«
    »Erdbeben kommen nicht auf Gedanken«, protestierte Ichabod. »Das sind unbelebte Naturphänomene – nichts als die Entladung von Spannungen zwischen oder innerhalb von verschiedenen Gesteinsschichten.«
    Ein erneutes Rumpeln – diesmal schon näher und heftiger.
    »Nicht in Xanth!« widersprach der Golem. »Hier besitzt das Unbelebte eine reichlich eigenwillige Qualität, wie man ja auch sieht, wenn König Dor mit ihm spricht. Alles hat hier seine eigene Persönlichkeit, sogar ein Beben.«
    Der Archivar hatte während des zweiten Erdstoßes umherhüpfen müssen, um auf den Beinen zu bleiben. »Da mag was dran sein«, murmelte er nervös.
    Chamäleon fuhr fort, an dem Pfahl zu sägen. Ihre Klinge war zwar sehr scharf, doch der Pfahl war dafür auch recht zäh, und so kam sie nur schleppend voran. Da erschien plötzlich eine Wunde, aus der eine dickliche rote Flüssigkeit hervorströmte.
    »Ich frage mich, was das wohl für eine Pflanze ist?« warf Grundy ein. Er versuchte es mit einigen Geräuschen, schüttelte dann aber den Kopf. »Gibt mir keine Antwort.«
    »Vielleicht können wir den Pfahl jetzt abbrechen«, fragte Ichabod, dem immer ungemütlicher dabei wurde. Er riß noch heftiger an dem Pfahl und drehte gleichzeitig daran.
    Plötzlich hob sich die ganze waagerechte Reihe von Pfählen. Im Boden unter ihnen tat sich ein Schlitz auf und offenbarte eine feuchte, glasige Oberfläche, die von weißen, braunen und schwarzen Streifen durchkreuzt wurde. Für eine polierte Gesteinsformation war es sehr hübsch.
    »Das ist ja ein Auge!« rief Grundy.
    Ichabod, der sich an dem Pfahl festhielt, starrte entsetzt in den monströsen Augapfel. »Und woran hänge ich dann?«
    »An einer Wimper«, meinte der Golem. »Ich hätte es merken müssen. Es lebt zwar, ist aber keine Pflanze. Ich habe also versucht, mich mit der Augenwimper eines Tieres zu unterhalten. Kein Wunder, daß ich keine Antwort erhielt, Wimpern geben einem nun mal keine.«
    Ichabod ließ sich auf das untere Augenlid fallen. Dabei rammte er mit einem Fuß aus Versehen das Auge. Das Auge zuckte zusammen, und das obere Lid stieß wie ein Falltor herab. Der Archivar zerrte seinen Fuß frei und kletterte davon.
    »Steigt auf!« rief Grundy. »Nichts wie weg hier!«
    Zu dritt krabbelten sie hastig auf das Tagpferd, das sich sofort davonmachte. Imbri folgte ihnen hinkend.
    Plötzlich begriff die Mähre, was geschehen war: »Die Sphinx!« sendete sie. »Das war die Sphinx!«
    »Und man hat uns vor ihr auch noch gewarnt!« stimmte der Golem ihr zu. »Und wie gewöhnlich, tappen wir natürlich direkt in die Falle, ohne das geringste zu merken!«
    Wieder bebte der Boden unter ihnen und bäumte sich auf. Das monströse Gesicht der Sphinx sperrte sein Maul auf. Ein gewaltiges Gebrüll ließ die Luft wie durch einen Wirbelsturm erzittern.
    »Gebrüll mit Gefühl!« rief Grundy.
    »Ach, herrje!« stöhnte Ichabod. »Es ist

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