Nacht-Mähre
wollte, daß wir umkehren, um dich zu suchen«, sagte Grundy, »aber wir haben ihr abgeraten. Alles, was wir wahrscheinlich erreicht hätten, wäre gewesen, daß wir uns selbst in Schwierigkeiten gebracht und deine Lage womöglich noch verschlimmert hätten.«
»Mein Sohn, der König, hat mir aufgetragen, auf den Golem zu hören«, sagte Chamäleon reumütig, und ihr Gesichtsausdruck machte aus ihrem Mißfallen keinen Hehl.
»Das war auch das Beste«, stimmte Imbri dem Golem in einem Träumchen für alle zu. »Ich habe mich im Ohr der Sphinx versteckt, bis es dunkel wurde, dann habe ich mich entmaterialisiert.«
»Deinem Bein scheint es ja besser zu gehen«, bemerkte Ichabod.
»Nein, aber es geht ihm auch nicht schlechter. Vielleicht hat sich das bis morgen früh geändert.«
So legten sich die anderen schlafen, während die beiden Pferde die Nacht mit Grasen und Schlummern verbrachten.
Am nächsten Morgen erwachten sie ausgeruht und erfrischt, und auch Imbris Bein war so gut wie verheilt. Chamäleon entkleidete sich, um sich im seichten Ufergewässer des Sees zu waschen. Ichabod drehte ihr schamhaft den Rücken zu, doch Grundy starrte sie ungehemmt an. »Manchen Leuten bekommt das Alter wohl ganz gut«, meinte er. »Aber ihr solltet sie mal in ihrer anderen Phase sehen!«
»Das habe ich«, erwiderte Ichabod steif. »Sie besitzt den bemerkenswertesten, schärfsten Verstand, der mir je begegnet ist.«
»Und dazu das Aussehen der häßlichsten Schreckschraube«, warf der Golem feixend ein.
»Sie manifestiert lediglich die Eigenschaften aller Frauen, wenn auch auf weniger mehrdeutige Weise. Alle beginnen sie lieblich und unschuldig und enden häßlich und schlau.«
»Schätze, deswegen guckst du dir wohl auch so gerne Nymphen an«, erwiderte Grundy. »Die haben keinen Verstand, deshalb kann der dich auch nicht vom Wesentlichen ablenken.«
»Ich gucke aber gar nicht aufs Wesentliche!« protestierte Ichabod. »Ich schaue mir nur ihre Beine an.«
»Warum schaust du dir dann nicht Chamäleons Beine an? Die sind auch nicht schlechter und ein gutes Teil besser als die meisten anderen.«
»Chamäleon ist ein Mensch und eine gute Freundin«, sagte der Archivar in strengem Ton.
»Och, der macht das aber nichts.« Der Golem genoß es, den Mann mit seinen Sticheleien zu ärgern. »He, Puppe, hast du was dagegen, wenn Ichabod zuguckt?«
»Still!« zischte Ichabod und errötete.
»Aber nein«, rief Chamäleon, »ich bin doch unter Wasser.«
»Sie war die ganze Zeit unter Wasser!« sagte Ichabod, als er merkte, was gespielt wurde, weil der Golem sich lachend am Boden wälzte. »Es gab überhaupt nichts zu sehen!«
Am anderen Ende des Sees bewegte sich etwas. Dort schien es direkt unter der Wasseroberfläche eine Höhle zu geben. Nun erschienen einige Köpfe. »Tritonen!« sagte Grundy. »Weg vom Ufer! Die können ziemlich bösartig sein.«
Tatsächlich kamen die Meermänner auch schon mit erhobenen Dreizacken auf sie zu. Chamäleon wollte erst aus dem Wasser steigen, doch dann erinnerte sie sich ihrer Nacktheit und senkte ihren Oberkörper wieder, da sie nicht klug genug war, um zu erkennen, daß ihre Schamhaftigkeit tödlich enden konnte. Imbri jagte herbei, um sie zu beschützen, und auch das Tagpferd gesellte sich zu der Gruppe an Land.
Die Tritonen hielten gerade außerhalb der Trittreichweite der beiden Pferde an. »Ho! Was für einen Unfug soll das geben?« rief einer von ihnen. »Seid ihr gekommen, um unser Wasser schlammig zu machen?« Drohend richtete er seinen Dreizack auf sie.
Imbri sendete einen friedvollen Traum aus. Mit der Zeit bekam sie darin Übung. »Wir wollen nur vorbeiziehen, wir führen nichts Böses im Schilde«, sagte ihre Traumgestalt einer schwarzen Meerjungfrau. »Wir wußten nicht, daß dieser See von euresgleichen bewohnt wird.«
Nun musterte der Triton Chamäleon, deren Oberkörper er kurz erspäht hatte, als sie an Land hatte gehen wollen. »Die da muß Nymphenblut haben«, bemerkte er bewundernd.
Doch inzwischen waren mehrere Meerjungfrauen den Tritonen gefolgt. »Das ist eine Menschenfrau!« sagte eine von ihnen. »Laßt sie in Ruhe.«
Der Triton zog eine Grimasse. »Diese Leute hier sind wohl in Ordnung. Sie haben das Gelände nicht mit Müll verdreckt.«
»Sagt mal«, warf Grundy ein, als die Spannung nachzulassen begann, »kennt ihr eigentlich die Sirene? Die hat sich doch vor einigen Jahren irgendwo hier in der Nähe in einem See niedergelassen.«
»Die Halb-Meerjungfer?
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