Nacht-Mähre
lang grasten sie zusammen Seite an Seite. Als schließlich die Nacht einbrach, trabte das Tagpferd wieder gen Süden davon, fort von den Mundaniern. Imbri schnaubte leise in sich hinein. Der Hengst war zwar ein wunderbarer Begleiter, aber er hatte auch seine Macken. Solange die Mundanier auf der Nordseite der Spalte waren, konnten sie ihm nichts anhaben. Und sollte es ihnen durch irgendein infernalisches Wunder gelingen, die Schlucht zu überqueren, brauchte er nur davonzulaufen, denn kein Mann konnte ein gesundes Pferd zu Fuß einholen, und die Bäume des Dschungels würden jeden Angriff von Bogenschützen vereiteln.
Imbri kehrte in der Nacht in entmaterialisierter Gestalt zum Zelt des Zombiemeisters zurück. Dort stand Grundy Wache. Er erspähte sie schon im selben Augenblick, als sie wieder stoffliche Gestalt annahm.
»Mich erwischst du nicht beim Schlafen, Mähre!« meinte er selbstzufrieden. »Wenn du allerdings unsichtbar geblieben wärst, hätte ich da so meine Probleme gehabt, das will ich zugeben.«
»Vielleicht sollte ich ja unsichtbar Wache stehen«, sendete Imbri.
»Nein, du mußt grasen und dich ausruhen«, widersprach der Golem, der wohl die Ehre, den König zu bewachen, mit niemandem teilen wollte.
»Ich könnte ja etwa jede Stunde in unsichtbarer Gestalt mal nachsehen.«
»Hm…« Da hatte Grundy eine Idee. »Könnte ich dann mit dir kommen?«
»Aber natürlich. Du wärst dann auch unsichtbar.«
»Prima! Dann schauen wir doch gleich mal nach dem rechten!«
Imbri ließ ihn aufsitzen, entmaterialisierte sich und trat durch die Zeltwand. Der Zombiemeister schlief friedlich. Imbri schickte ihm einen Traum. »Hallo, Euer Majestät«, sagte sie in ihrer Traumgestalt, die diesmal aus einer einigermaßen erhaltenen Zombiefrau bestand. »Ich bin ‘s nur, die Mähre Imbrium. Habt Ihr es bequem?«
»Sehr bequem, danke, Mähre«, erwiderte der König. »Nur meine Familie fehlt mir. Könntest du die vielleicht in diesen Traum einbauen?«
»Gewiß.« Sie konzentrierte sich, und einen Augenblick später erschien Millie das Gespenst, etwas schwach umrissen, aber doch sehr schön und Sex-Appeal versprühend.
»Ach, Jonathan!« sagte Millie. »Ich liebe dich ja so!« Sie breitete die Arme für ihn aus.
»Also so was nenne ich einen guten Traum!« rief der Zombiemeister und umarmte sie. Ihre achthundert Jahre alte Liebe war durch ihre Fleischwerdung nicht geringer geworden.
Da öffnete sich an der Wand plötzlich ein Auge, und daneben erschien eine Inschrift: MATSCH! MATSCH! JUCK!
»Geht in euer Zimmer, Kinder!« bellte der Zombiemeister. »Bastelt euch gefälligst eure eigenen Träume!«
Eingeschüchtert verblaßte Auge und Inschrift. Der Zombiemeister küßte seine Frau, die leidenschaftlich darauf reagierte. Wenn Millie eins konnte, dann war es leidenschaftlich sein!
Da erstarrten die Augen des Magiers plötzlich, und er blieb wie angewurzelt stehen.
»Jonathan!« rief Millie besorgt. »Was ist denn los?«
Doch der Zombiemeister gab keine Antwort und rührte sich nicht.
Da wurde Imbri abrupt aus dem Traum geworfen – weil kein Geist mehr da war, um ihn in Empfang zu nehmen. »Man hat ihn erwischt!« sendete sie Grundy. »Mitten im Traum!«
»Aber es ist doch überhaupt keiner da, außer uns!« Grundy überlegte kurz. »Der Sache gehe ich nach. Mach uns wieder stofflich, und zwar schnell.«
Sie materialisierte noch im Zelt. Grundy sprang ab und gab ein wisperndes, raschelndes Geräusch von sich, als er mit einem Rasenstück im Zelt sprach. »Das Gras hat niemanden gesehen«, sagte er.
»Vielleicht draußen vor dem Zelt…«
Grundy hob das Zeltlaken und krabbelte hinaus. Imbri durchdrang entmaterialisiert die Zeltwand und trabte zu Chet hinüber. »Der König ist verhext worden!« sendete sie dem Zentauren. »Gerade eben.«
»Aber Grundy hat doch Wache gehalten!« rief Chet beunruhigt.
»Ich auch. Aber es hat den König direkt vor meinen Augen erwischt – mitten in einem Traum, den ich ihm geschickt habe!«
»He, ich hab’s!« rief Grundy plötzlich. »Dieser Baum hier sagt, daß hier gerade noch ein Mensch gewesen ist. Der ist an ihm hinaufgeklettert, wieder hinuntergesprungen und davongelaufen.«
Chet galoppierte zu dem Golem hinüber. »Wer war es? Kennen wir ihn?«
»Der Baum weiß es nicht«, sagte Grundy. »Für Bäume sehen alle Menschen gleich aus. Außerdem war es ja auch dunkel, und es muß einer gewesen sein, der an diesem Ort fremd war. Das könnte jeder gewesen sein, ein
Weitere Kostenlose Bücher