Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)
waren sie wohl alle auf die eine oder andere Art. Er nahm sich seinen i-Pod vom Bett und startete Johann Sebastian Bach. Die melodiösen Streicher taten ihm gut, denn in seinem Kopf rasten die Gedanken.
Philipp hatte Kiana zu einem falschen Alibi angestiftet. Interessant. Wozu brauchte der Schwachkopf ein Alibi? Was hatte er nachts auf der Station gewollt? In der Nacht von Isabells Selbstmord. Er kam sicher nicht in seiner Freizeit in die Psychiatrie spaziert, um ihnen süße Träume zu wünschen. Entweder hatte er tatsächlich eine Verabredung – und die sicher nicht mit Kiana – oder er war ohnehin im Haus gewesen. Hier hatte er aber keinen Dienst. Und mit wem hätte er verabredet sein sollen? Brömme hatte keine besonderen Beziehungen zwischen Philipp und den Patienten bemerkt. Der Warmduscher hatte nicht viel für sie übrig. Brömme war sich sicher, dass er die Patienten verachtete. Und er war faul. Auf internistischen Stationen hätte er mehr arbeiten müssen. Von einigen Patienten wusste er, dass ihnen Geld abhandengekommen war. Das hatten sie Schwester Mathilde gesteckt. Kurt Mager hatte ihm erzählt, dass er die Türklinken mit Sagrotan abwischen musste, weil Philipp wieder im Zimmer gewesen war. Und er selbst hatte ihn erwischt, wie er in Henkes Schrank gestöbert hatte. Sollte da ein Zusammenhang bestehen? Brömme tigerte im Zimmer auf und ab. Genau, der Typ beklaute die Patienten. So musste es sein. Er stoppte. War Philipp bei Isabell im Zimmer gewesen? Hatte er seine wieseligen Finger im Spiel gehabt bei Isabells Suizid? Nein, Isabell hätte sich nichts von so einem sagen lassen. Aber vielleicht war das die Erklärung dafür, dass das Zimmer durchwühlt war. Hatte er tatsächlich eine Tote beklaut? So abgebrüht war er nicht, oder doch? Brömme musste lächeln.
Er schaltete die Musik aus. Er wollte zu Tessa Ravens gehen. Vielleicht nahm sie ihn jetzt endlich ernst.
Durch die spaltbreit offene Tür sah er sie über Papiere gebeugt, die verstreut über den Schreibtisch lagen.
»Kann ich kurz stören?«, fragte er. Sie hob den Kopf, und für einen winzigen Moment hatte er den Eindruck, dass sie genervt war.
»Natürlich, gerne«, antwortete sie.
Nein, er hatte sich getäuscht, ihr Lächeln war bezaubernd wie immer.
»Mir ist da ein Gedanke durch den Kopf gegangen, den ich mit Ihnen besprechen möchte.« Er setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber an den Schreibtisch. So fühlte er sich mit ihr auf Augenhöhe. »Einigen Patienten ist Geld geklaut worden.« Er hörte, wie sie tief Luft holte. Gut, jetzt hatte er ihre ganze Aufmerksamkeit. »Ich habe da eine Theorie.« Er legte eine Pause ein. Das steigerte die Dramatik. Leider fragte sie nicht nach. Also weiter im Text. »Philipp braucht Geld. Er ist jede Nacht auf Piste. Und tagsüber drückt er sich in den Patientenzimmern herum. Da braucht man doch nur eins und eins zusammenzählen.« Er machte wieder eine kunstvolle Pause. Diesmal hakte sie nach.
»Woher wissen Sie, dass er oft in den Zimmern ist?«
So wie sie das betonte, gefiel ihm das gar nicht. Als ob sie ihm nicht glaubte. »Weil wir ihn gesehen haben.«
Sie ging nicht darauf ein. Dann musste er eben deutlicher werden. »Vielleicht war er ja in der Nacht von Isabells Tod in ihrem Zimmer? Vielleicht hat er deshalb Kiana für ein Alibi gebraucht? Wär doch möglich.«
»Das ist eine schwere Anschuldigung. Das Krankenhauspersonal weiß, dass Diebstahl zur sofortigen Kündigung führt. Haben Sie ihn beim Stehlen erwischt? Was sagt denn Schwester Mathilde dazu?«
Er konnte es nicht fassen. Sie kaufte es ihm nicht ab. Sie nahm ihn nicht ernst. Er war richtig sauer. Das war doch alles total logisch. Aber keiner sah das Offensichtliche. »Keine Ahnung, was Schwester Mathilde dazu sagt. Sie glauben ja wohl nicht, dass die das mit Patienten bequatscht.«
»Nein, wohl nicht … Erst erzählen Sie mir von Gabriele Henkes geheimnisvollen Exmann, jetzt, dass Philipp in Isabells Zimmer war. Ich komm da nicht mehr mit.« Sie stützte die Ellbogen auf dem Tisch auf und presste die Finger gegen die Schläfen. »Können wir morgen noch mal darüber reden?«
Sie sah wirklich erschöpft aus. Aber da musste sie jetzt durch.
»Natürlich. Ich laufe ja nicht weg.« Die Bemerkung hatte er sich nicht verkneifen können. Zwar war er nicht per Gerichtsbeschluss hier, trotzdem konnte er nicht einfach rausmarschieren. Er warf ihr einen letzten Blick zu. Sie erwiderte ihn mit müden Augen. Er hatte das Gefühl,
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