Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)
ihr vorbei in die Wohnung drückte, berührte er vage ihren Arm. Immer noch ließ sie ihm die Möglichkeit, umzudrehen. Er musste die Tür selber schließen. Es war seine Entscheidung.
Sie hatten noch kein Wort gesprochen.
Sie ging ins Wohnzimmer, setzte sich auf das Sofa und zündete eine Kerze an, die auf einem Tischchen stand. Er setzte sich neben sie. Endlich brach sie die Stille, indem sie ihn bat, ihr eine Zigarette anzuzünden.
»Du rauchst doch gar nicht wirklich«, sagte er.
»Nein, nur mit dir.«
Sie schaute ihn lange an. Er steckte zwei Zigaretten an und gab ihr eine. Dabei berührten seine Finger ihre Hand. Es war wie eine Antwort auf ihre unausgesprochene Frage.
Vorsichtig legte er ihr die Hand in den Nacken und begann sie zu streicheln, zeichnete sanft den Kragen ihres Bademantels nach. Ihr Hals fühlte sich warm und weich an. So hatte er es sich ausgemalt. Er genoss die schweigende Übereinkunft, die Zigarette, die Müdigkeit.
»Du hast einen schönen Hals, Tessa«, sagte er leise und zog sie zu sich heran, drückte sein Gesicht in ihre Halsgrube. Er spürte ihren Herzschlag an seiner Wange und atmete tief ihren Duft ein. Es war nur noch ein Hauch ihres Parfüms zu erahnen. Sie nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände. Ihm schwindelte, als sie ihn küsste. Er riss sich los.
»Darf ich heute Nacht bleiben?« Seine Stimme klang heiser und fremd in seinen Ohren. Seine Hände zitterten auf ihrem Körper.
»Du bist verheiratet, ich bin frei. Ich möchte dir nicht schaden.« Ihr letzter Versuch zu retten, was nicht mehr zu retten war.
»Ich möchte es.«
Sie nahm ihm die Zigarette aus der Hand und ließ sie einfach in ein halb volles Wasserglas fallen. Während er jede ihrer Regungen beobachtete, fuhr sie ganz leicht mit ihren Fingern durch sein Gesicht, beugte sich zu ihm und küsste ihn. Ihre Lippen waren weich, und er konnte nicht anders, als sie an sich zu ziehen. Atemlos löste sie sich von ihm. Ein paar quälende Herzschläge lang glaubte er, sie würde ihn nun wegschicken. Doch sie nahm seine Hand und zog ihn hoch, nahm die Kerze mit und führte ihn in ihr Schlafzimmer.
Dann standen sie voreinander. Vorsichtig löste er den Gürtel ihres Bademantels. Er legte die Arme um sie, zog sie an sich. Er wollte sie berühren, sie ganz nah an sich spüren. Ihr Haar, ihr Duft, ihre Lippen und Wimpern. Ihre weiche, zarte Haut. Nur für einen Moment ließ er sie los, riss an seinem Hemd und seiner Jeans. Er suchte ihren Blick, und das unterdrückte Verlangen darin raubte ihm den Atem.
»Wir haben Zeit,« flüsterte sie und nahm seine Hand. Als er sie auf das Bett herabsenkte, klammerte sie sich eng an ihn.
Erschöpft und still lagen sie danach ineinander verschlungen auf dem Bett. Sein Kopf ruhte auf ihrer Brust, und er hörte auf ihren Herzschlag. Auch in der Dunkelheit und mit geschlossenen Augen konnte er jede Einzelheit ihres Gesichts nachzeichnen. Ihre Augen hatten ihn berührt. Brachten eine Saite in ihm zum Klingen. In diesem Moment schien seine Welt in Ordnung. Er hielt sie ganz fest.
Er musste eingeschlafen sein, obwohl er jede Sekunde hatte genießen wollen. Neben ihm wälzte sich Tessa hin und her und murmelte Unverständliches. Er nahm sie vorsichtig an den Schultern und drehte sie zu sich um. Er konnte es keinen Moment länger ertragen, dass es ihr neben ihm schlecht ging.
Sie wachte auf und blickte ihn erschrocken an.
»Du hast geträumt. Du hast etwas gesagt, ich konnte es nicht verstehen.«
Er meinte, ein zaghaftes Lächeln in der Dunkelheit ausmachen zu können.
»Mein Bruder hat immer gesagt, wenn ich irgendetwas nicht im Laufe des Tages losgeworden wäre, käme ich ganz sicher in der Nacht zu Wort.«
Er durchschaute ihr Ablenkungsmanöver. Seine Hand hatte ihre Anspannung erspürt.
»Erzähl es mir. Hast du diesen Traum öfter?«
»Ich komme von der Schule nach Hause und klingle an der Wohnungstür. Meine Mutter macht nicht auf. Kein Problem, weil ich einen Schlüssel um den Hals trage. Er passt nicht. Von innen steckt schon ein Schlüssel. Meine Mutter ist also da. Warum öffnet sie nicht? Und wo ist mein Bruder? Dann klingle ich wieder. Diesmal macht sie auf. Sie sieht wirr aus. Zerzauste Haare, Spucke am Kinn, ein dreckiges T-Shirt an. Sie lässt mich rein und ich sehe, dass sie in einer Hand eines von unseren langen Küchenmessern hält. Das scharfe. Mit dem sie sonst das Fleisch schneidet. Es macht mir Angst.«
Er spürte, wie ihr Atem wieder schneller ging, und drückte
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