Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)
wieder wanderte sein Blick zu Tessa, die regungslos hinter ihrem Schreibtisch saß.
»Warum haben Sie mir das nicht erzählt?« Koster ärgerte sich über den eifersüchtigen Unterton in seiner Stimme.
»Vergessen.«
»Wollen Sie mich verarschen? Erst erzählt der Pflegeschüler uns nur Mist und jetzt Sie?« Er musste innehalten. Dieser Kerl brachte ihn jedes Mal auf die Palme.
»Was hat Philipp erzählt?« Mit einem Mal schien Brömme sehr neugierig. Er rutschte hektisch im Sessel umher.
Koster wollte gerade zu einer scharfen Antwort ansetzen, als Tessa ihm zuvorkam.
»Wir hatten alle einen langen und anstrengenden Tag.« Ihre Stimme klang ungewohnt flehend. »Lassen Sie uns für heute aufhören mit Vorwürfen. Herr Brömme, wenn Sie etwas wissen, dann helfen Sie uns. Bitte!«
Brömme nickte ernst und wandte den Kopf, um Koster erstmals direkt in die Augen zu sehen. »Ich weiß nichts.«
»Wir suchen das Tagebuch von Frau Drost. Haben Sie in der Zwischenzeit etwas darüber gehört?«, fragte Koster.
»Vielleicht hat Philipp es? Er hat hier fette Beute gemacht.«
»Na toll, das hat sich ja schnell rumgesprochen«, murmelte Tessa.
»Wussten Sie, dass der Pfleger Philipp das Tagebuch in seinem Spind hatte?«, fragte Koster.
»Hatte?« Schlagartig war Brömme wieder bei der Sache.
Er schaltet schnell, dachte Koster. »Der Spind ist aufgebrochen. Das Tagebuch ist weg.«
»Moment. Langsam. Philipp hatte das Tagebuch?« Tessas Stimme überschlug sich fast. »Und jetzt ist es wieder gestohlen? Aus seinem Spind? Das ist doch der helle Wahnsinn!« Sie starrte ihn fassungslos an.
Koster traute sich nicht, eine Antwort zu geben. Sein Ja wäre vermutlich bei Tessa nicht gut angekommen. Brömme musste es ebenso gehen, denn auch er schwieg vielsagend, zuckte nur die Achseln.
»Vielen Dank, Herr Brömme, wir sprechen später weiter.« Koster stand auf, um unmissverständlich deutlich zu machen, dass Brömme jetzt gehen sollte. Widerstrebend erhob der sich und ging mit einem letzten Blick auf Tessa.
»Tessa«, sagte Koster, als sie endlich allein waren. »Du brauchst mehr Abstand. Es tut mir leid, dass ich dich wieder einbezogen habe. Ich …«
»Ich erkenne meine eigene Welt nicht mehr.« Sie seufzte, kam hinter ihrem Schreibtisch hervor und setzte sich zu ihm in die Sitzecke. »Was sagt dir deine Intuition, was hier auf der Station vor sich geht?«, fragte sie.
»Meine Intuition hat Urlaub. Ich … brauche Fakten. Ich komme morgen früh mit Liebetrau und weiteren Mitarbeitern auf die Station und entnehme die Speichelproben für DNA -Tests. Dann wissen wir in ein paar Tagen mehr.«
»Aber damit stellst du uns alle unter Generalverdacht. Das ist nicht fair.« Ihre Augen flehten ihn förmlich an.
»Hier geht’s nicht um fair. Hier gelten keine Regeln mehr. Leider.«
»Ich kann es nicht glauben. Speichelproben? Ahnst du, was das für die Patienten bedeutet?«
»Wir haben die Erlaubnis des Chefarztes.«
Sie stand auf und ging zurück hinter ihren Schreibtisch. »Na, dann brauchst du meine Erlaubnis ja nicht. Prima.« Sie wandte sich ab.
Koster erkannte eine Abfuhr, wenn sie ihm begegnete. Also ging er.
*
Er wusste, dass es ein Fehler war. Erst recht nach der Abfuhr heute Nachmittag. Natürlich wusste er das. Aber er musste den Streit mit ihr klären. Er hatte es zu Hause nicht ausgehalten. Die Wohnung leer und anklagend, doch seine Gedanken kreisten nur darum, warum er immer wieder mit Tessa aneinandergeriet. Das behinderte seine Ermittlungen. Ach was, er machte sich was vor. Die Sehnsucht nach ihr war so groß, dass er bereit war, die Konsequenzen in Kauf zu nehmen. Zumindest für heute Nacht. Keine Vernunft der Welt hielt ihn jetzt noch ab. Er ließ seinen Finger eine Sekunde über der Klingel schweben. Es war nach Mitternacht.
Ein kurzes »Hallo?« krächzte durch die Gegensprechanlage. Er nannte nur seinen Namen. Er wollte sich sofort umdrehen und gehen, wenn sie ein falsches Wort sagte. Doch damit belog er sich nur selbst. Der Summer ertönte, und die Haustür ging auf. Als er in der obersten Etage ankam, raste sein Herz. Nicht nur wegen der drei Stockwerke. Sie stand in der halb geöffneten Tür. Als ob sie ahnte, dass auch er auf schmalem Grat balancierte. Sie trug einen Bademantel und war barfuß. Sie wartete. Er blieb vor ihr stehen. Seine innere Zerrissenheit tat ihm nahezu körperlich weh. Sie machte einen Schritt zurück und lud ihn mit ihrem Blick ein. Er nahm die Einladung an. Als er sich an
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