Nacht ohne Ende
medizinische Fachkenntnisse besitzt.«
»Das stimmt. Er hat Sabra geholfen, ihr Kind zur Welt zu bringen.«
Docs Augen verengten sich leicht - der Revolverheld, der drauf und dran war, seine Knarre zu ziehen.
»Sheriff Montez kann sich nicht an seinen Nachnamen erinnern. Sagt, der Betreffende würde allgemein Doc genannt.«
»Richtig«, erwiderte Tiel.
»Sie kennen seinen Namen wohl auch nicht, oder?«
Tiel überdachte ihre Möglichkeiten. Sie war zwar vollauf damit beschäftigt gewesen, Sabra während der Wehen und der Geburt zu unterstützen, aber es war nicht etwa so, als ob sie nichts von dem mitbekommen hätte, was in der Zwischenzeit draußen passiert war. Sie hatte unentwegt das Knattern von Helikopterrotoren gehört. Einige davon waren sicherlich Polizei-und Rettungsdiensthubschrauber, aber sie war bereit, jede Wette darauf einzugehen, dass sie auch auf die Ankunft von Medienleuten aus Dallas, Fort Worth, Austin und Houston hindeuteten. Berichterstatter der großen staatlichen Sendeanstalten. Reporter der an das Sendernetz angegliederten Privatsender.
Die aktive Rolle, die sie in dieser sich entwickelnden Story spielte, hatte ihren Medienwert automatisch erhöht. Tiel würde sich zwar nicht unbedingt als berühmt bezeichnen, aber andererseits war sie - bei aller Bescheidenheit - auch keine unbedeutende Figur in der TV-Branche. Sie war fast jeden Tag in den Abendnachrichten ihres Senders zu sehen. Diese Nachrichtensendungen wurden auch von Kabelsendern in kleineren Sendegebieten in ganz Texas und Oklahoma ausgestrahlt, die mehrere Millionen Zuschauer zählten. Sie, Tiel, war ein geschmacksverstärkender Bestandteil einer ohnehin schon ziemlich gepfefferten Story. Fügte man zu dieser schmackhaften Mischung noch die Information hinzu, dass es sich bei einer der Geiseln um den skandalumwitterten Dr. Bradley Stanwick handelte, der vor drei Jahren aus dem Licht der Öffentlichkeit verschwunden war, dann hatte man ein eins a Fünf-Sterne-Menü, auf das sich Presse, Funk und Fernsehen mit wahrem Heißhunger stürzen würde.
Aber Tiel wollte, dass es ihr Menü war.
Wenn sie jetzt Docs wahre Identität enthüllte, konnte sie sich ihren Exklusivbericht abschminken. Alle anderen würden ihr um Längen voraus sein. Die Story würde auf sämtlichen Nachrichtenkanälen gesendet werden, noch bevor sie ihren ersten Bericht auch nur getippt hatte. Bis sie ihre eigene Darstellung der Ereignisse bringen konnte, würde das Wiederauftauchen von Dr. Stanwick Schnee von gestern sein.
Gully würde ihr diese Entscheidung wahrscheinlich niemals verzeihen, aber vorläufig wollte sie diesen pikanten Leckerbissen als ihre geheime Zutat für sich behalten.
Deshalb vermied sie es, Calloway eine direkte Antwort auf seine Frage zu geben. »Doc hat großartige Arbeit geleistet, und noch dazu unter sehr schwierigen Umständen«, sagte sie ungeduldig. »Wir sind alle müde, aber im Übrigen unversehrt. Ich kann das gar nicht oft genug betonen.«
»Sie werden nicht gezwungen, das zu sagen?«
»Absolut nicht. Das Letzte, was Ronnie will, ist, dass jemand verletzt wird.«
»Das ist richtig«, sagte der J unge. »Ich möchte nur mit Sabra und unserem Baby ungehindert diesen Laden hier verlassen können, sodass es uns freisteht, unseren eigenen Weg zu gehen.«
Tiel übermittelte seinen Wunsch Calloway, der daraufhin erwiderte: » Miss McCoy, Sie wissen, dass ich das nicht zulassen kann.«
»Es ist doch sicherlich möglich, gewisse Zugeständnisse zu machen.«
»Ich habe nicht die Befugnis -«
»Mr. Calloway, sind Sie in der Lage, frei zu sprechen?«
Nach einer kurzen Pause sagte er: »Fahren Sie fort.«
»Wenn Sie mit Russell Dendy zu tun gehabt haben, dann können Sie doch bestimmt gut verstehen, warum diese beiden jungen Leute verzweifelt genug waren, um das zu tun, was sie nun einmal getan haben.«
»Ich kann mich im Moment nicht direkt dazu äußern, aber ich verstehe, was Sie meinen.«
Anscheinend war Dendy in Hörweite. »Nach allem, was man so hört, ist der Mann ein unerträglicher Tyrann«, fuhr Tiel fort. »Ich weiß nicht, ob Sie darüber informiert sind, aber er hat geschworen, diese beiden hier gewaltsam zu trennen und das Baby zur Adoption frei zu geben. Ronnie und Sabra wollen nur die Freiheit haben, über ihre eigene Zukunft und über die ihres Kindes selbst zu entscheiden. Das hier ist eine Familienkrise, Mr. Calloway, und als solche sollte sie auch behandelt werden. Vielleicht würde sich Mr. Dendy mit einem
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