Nacht ohne Ende
mich, aber das ist nicht wahr. Du willst das, was für dich das Beste ist. Du bist bereit, mich zu opfern, du bist bereit, dein Enkelkind aufzugeben, nur um deinen Willen durchzusetzen. Das ist traurig. Ich hasse dich nicht. Du tust mir nur Leid.«
Sie beendete ihre Erklärung genau in dem Moment, als Kip sagte: »Die Zeit ist abgelaufen.« Er schaltete die Kamera aus und hob sie von seiner Schulter. »Ich möchte nicht das Zeitlimit überschreiten und Schuld daran sein, wenn hier plötzlich die Fetzen fliegen.«
Als er und Tiel sich einen Weg zurück zur Tür bahnten, sagte er: »Übrigens, ein Typ namens Joe Marcus hat schon mehrmals im Nachrichtenstudio angerufen.«
»Wer?«
»Joe Mar -«
»Ach so. Joseph.«
»Er ist den anderen derart auf den Wecker gegangen, dass sie ihn schließlich zu mir durchgestellt haben.«
»Wie hat er denn von dieser Sache hier erfahren?«
»Auf die gleiche Art und Weise wie alle anderen, schätze ich«, erwiderte Kip. »Er hat es in den Nachrichten gehört. Wollte wissen, ob du unverletzt wärst. Sagte, er mache sich wahnsinnige Sorgen um dich.«
In den langen Stunden seit ihrem Telefongespräch mit ihm hatte sie die miese, verlogene, ehebrecherische Ratte, mit der sie einen romantischen Urlaub zu verbringen geplant hatte, schon beinahe vergessen. Es schien schon ziemlich lange her zu sein, dass Joseph Marcus irgendeinen Reiz für sie gehabt hatte. Sie konnte sich inzwischen kaum noch daran erinnern, wie er aussah.
»Wenn er noch mal anruft, leg einfach auf.«
Der unerschütterliche Kameramann zuckte lakonisch die Achseln. »Wie du willst.«
»Und, Kip, vergiss nicht, Calloway und Co. zu sagen, dass es Agent Cain und dem Rest von uns gut geht.«
»Das meinen auch nur Sie!«, warf Cain ein. »Richten Sie Calloway aus, dass ich gesagt habe -«
»Halten Sie die Klappe!«, brüllte Ronnie ihn an. »Sonst lasse ich Sie wieder von diesem Mexikaner mundtot machen!«
»Sie können mich mal!«
Kip sah so aus, als ließe er Tiel nur äußerst ungern in einer solch feindseligen Umgebung zurück, aber draußen leuchteten ein Paar Autoscheinwerfer zweimal kurz auf. »Das ist mein Signal«, erklärte er. »Ich muss gehen. Pass auf dich auf, Tiel.«
Er schlüpfte durch die Tür, und Ronnie machte Donna ein Zeichen, wieder hinter ihm abzuschließen.
Cain fing an zu lachen. »Sie sind doch ein Idiot, Davison. Glauben Sie wirklich, dass Calloway dieses Video auch nur im Geringsten juckt? Er hat darin nur eine Möglichkeit gesehen, Sie noch ein bisschen länger hinzuhalten, um mehr von seinen Leuten zusammenzutrommeln.«
Ronnies Blick schweifte argwöhnisch zwischen dem FBI-Agenten und Tiel hin und her, die energisch den Kopf schüttelte. »Das glaube ich nicht, Ronnie. Sie haben doch selbst mit Calloway gesprochen. Er klingt aufrichtig besorgt um uns alle. Ich glaube nicht, dass er Sie hereinlegen würde.«
»Dann sind Sie keinen Deut klüger als Davison.« Cain lachte spöttisch. »Calloway hat dort draußen einen Psychologen, der ihn berät, wie er mit dieser Situation umgehen muss. Die beiden verstehen sich auf aalglattes Gerede. Die wissen genau, welche Knöpfe sie drücken müssen. Calloway ist schon über zwanzig J ahre beim FBI. Dieser Fall hier ist ein Klacks für ihn. Er könnte im Schlaf damit fertig werden.«
»Warum halten Sie nicht einfach den Mund?«, zischte Ronnie wütend.
»Warum lecken Sie mich nicht einfach am Arsch?«
Vern. der für die Fernsehkamera aufgewacht war, rief aufgebracht: »Hey, reden Sie nicht so unflätig in Gegenwart meiner Frau!«
»Kümmere dich einfach nicht um ihn, Vern«, sagte Gladys. »Er ist nun mal ein Arschloch.«
»Ich muss dringend zum Klo«, jammerte Donna.
»Ich will, dass ihr euch alle beruhigt und endlich still seid, verdammt noch mal!«, brüllte Ronnie.
Er sah abgespannt und ziemlich mitgenommen aus. Für die Kamera hatte er sich zusammengerissen, aber jetzt ließen ihn seine Nerven wieder im Stich. Erschöpfung, bloßliegende Nerven und eine geladene Schusswaffe ergaben eine tödliche Kombination.
Tiel hätte Cain dafür erwürgen können, dass er Ronnie noch mehr aufgestachelt hatte. Ihrer Meinung nach wäre das FBI ohne Agent Cain sehr viel besser dran gewesen. »Ronnie, wie wär's, wenn Sie uns erlauben würden, kurz auf die Toilette zu gehen und uns ein bisschen frisch zu machen?«, schlug sie vor. »Es ist schon Stunden für uns alle her. Es könnte allen helfen, sich zu entspannen, bis wir wieder von Calloway hören.
Weitere Kostenlose Bücher