Nacht ohne Ende
meine Bitte, mich nicht zu filmen, respektiert haben.«
Diesmal verspürte sie mehr als nur leichte Gewissensbisse. Diesmal war es ein scharfer Stich von Schuldbewusstsein, den zu ignorieren ihr sehr viel schwerer fiel. Sie murmelte eine passende Erwiderung und wies dann - um schnell das Thema zu wechseln - auf Sabra. »Irgendeine Veränderung?«
»Die Blutungen sind wieder stärker geworden. Allerdings nicht so schlimm wie vorher. Ich sollte sie wieder dazu überreden, das Baby zu stillen. Es ist schon über eine Stunde her, aber ich hasse es, sie zu stören, während sie schläft.«
»Calloway und die anderen sehen sich jetzt wahrscheinlich schon dieses Video an. Vielleicht wird Sabra bald in einem Krankenhaus sein.«
»Sie schlägt sich wirklich wacker. Aber sie ist erschöpft.«
»Ronnie auch. Ich sehe die ersten Anzeichen eines Zusammenbruchs. Ich wünschte, ich hätte nicht all diese Dramen um Geiselnahmen gesehen - erfundene und nicht erfundene. Je länger sich etwas wie dies hier hinzieht, desto reizbarer werden alle Beteiligten. Die Nerven versagen. Es kommt zu Wutausbrüchen und Kurzschlussreaktionen.«
»Und dann zu Schüssen.«
»Malen Sie bloß nicht den Teufel an die Wand.« Tiel schauderte. »Vorhin habe ich einen Moment lang befürchtet, Ronnies Besorgnis wegen der Scharfschützen wäre begründet. Was, wenn Calloway mich ausgetrickst hätte?
Seine Erlaubnis, das Video zu machen, hätte eine abgekartete Sache sein können, bei der Kip, Gully und ich nur Schachfiguren waren.«
»Wer ist dieser Gully?«, wollte Doc wissen, während er eine bequemere Haltung einnahm.
Sie beschrieb ihre kollegiale Beziehung. »Er ist ein richtiges Original. Ich wette darauf, dass er Calloway und seinen Leuten ganz schön einheizt«, fügte sie mit einem Lächeln hinzu.
»Und wer ist Joe?«
Diese unerwartete Frage ließ ihr Lächeln abrupt wieder verblassen. »Niemand.«
»Jemand. Ihr Freund?«
»Ein Möchtegern.«
»Ihr Möchtegern-Freund?«
Verärgert über seine Beharrlichkeit, war sie drauf und dran, ihm zu sagen, er solle sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern und aufhören, ihre Privatgespräche zu belauschen. Doch angesichts der Tonbandkassette in ihrer Hosentasche überdachte sie ihre Reaktion noch einmal. Vielleicht war es klüger, auf seine Fragen einzugehen. Wenn sie sich ihm anvertraute, wäre das eine gute Methode, um sein Vertrauen zu gewinnen.
»Joseph und ich hatten mehrere Dates. Joseph war auf dem besten Wege, die offizielle Bezeichnung >Freund< zu erringen, aber leider hatte Joseph versäumt zu erwähnen, dass er der Ehemann einer anderen Frau war. Ich habe diese äußerst unschöne Entdeckung erst heute Nachmittag gemacht.«
»Hmmm. Sauer?«
»Und ob. Stinkwütend.«
»Tut es Ihnen Leid?«
»Um ihn? Nein. Ganz bestimmt nicht. Nur dass ich eine so leichtgläubige Gans gewesen bin, das schon.« Sie schlug sich mit der Faust in die Fläche der anderen Hand, als ob es ein Richterhammer wäre. »Von jetzt ab müssen alle zukünftigen Männerbekanntschaften nicht weniger als drei notariell beglaubigte Charakterreferenzen vorlegen können, bevor ich mich mit ihnen einlasse.«
»Was ist mit Ihrem Ex-Mann?«
Noch ein Punkt für Doc. Er hatte ein echtes Talent dafür, ihr mit einer jähen und ernüchternden Frage einen kräftigen Dämpfer zu verpassen. »Was soll denn mit ihm sein?«
»Spielt er noch eine Rolle in Ihrem Leben?«
»Nein.«
»Sind Sie sich sicher?«
»Natürlich bin ich mir sicher.«
»Keine zurückbleibenden -«
»Nein.«
Doc runzelte zweifelnd die Stirn. »Komisch, aber Sie haben ganz seltsam ausgesehen, als ich ihn erwähnt habe.«
Innerlich flehte sie ihn an, ihr dies zu ersparen und sie in Ruhe zu lassen. Andererseits, wenn sie ihm die Geschichte erzählte, würde ihm das nur recht geschehen, weil er so neugierig war.
»lohn Malone. Ein großer Name in der Fernsehbranche, nicht? Mit dem dazu passenden Gesicht und der passenden Stimme. Wir hatten uns durch die Arbeit kennen gelernt und verliebten uns hoffnungslos ineinander. Die ersten paar Monate waren der reinste Himmel auf Erden. Dann, kurz nach unserer Heirat, wurde er von einer der Sendergruppen angeheuert, um als Auslandskorrespondent für sie zu berichten.«
»Aha. Ich verstehe.«
»Nein, das ist ein Irrtum«, gab Tiel zurück. »Sie verstehen überhaupt nicht. Beruflicher Neid hatte nicht das Geringste damit zu tun. Es war eine fantastische Chance für lohn, und ich war voll und ganz dafür. Der
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